Joseph Ratzinger, Wendezeit für Europa? Diagnosen und Prognosen zur Lage von Kirche und Welt, Einsiedeln-Freiburg i.Br. 1991
Zugang zum Denken großer Geister erhält man am besten durch die Hintertür, d. h. durch Gelegenheitsschriften, Gedankenskizzen und anlassbedingte Reden. So sind wohl die beste Einführung in Freuds Psychoanalyse dessen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“, die er für gebildete Laien mit leichter Hand und ohne allen fachlichen Ballast vorgetragen hat.[1] Joseph Ratzinger ist ein großer Theologe, aber durchaus auch ein politischer Denker, ja ein Prophet, der hellsichtig Spreu vom Weizen trennt und die Welt auf ihre letzten Gründe zu durchschauen sucht. Der vorliegende Band, eine Sammlung von sechs Reden und Aufsätzen aus den Jahren rund um die Wende 1988-1991, stellt eine solche Hintertür dar. Leicht fasslich und mit jener suggestiven Kraft der Rede, die bis heute eine treue Schar von Ratzinger-Jüngern versammelt, legt er seine großen Themen zwischen Kirche und Welt dar:
- Glaube und Unglaube als das eigentliche Drama unserer Zeit,
- Relativismus, ja Nihilismus als Frucht des Unglaubens auch in der Kirche,
- vielfältige Ersatzreligionen wie Fortschrittsglaube, marxistische, materialistische und christlich verbrämte Hoffnungen auf das irdische Paradies,
- Nationalismus als Leugnung der katholischen Einheit,
- die letzte Bindung der Werte an Gott und damit der menschlichen Willkür entzogen und
- die Begründung des Rechtes in einer überzeitlichen, allgemeingültigen, in der Schöpfungsordnung gründenden Gerechtigkeit.
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