„Keine Zeit und trotzdem fit!“ Mit diesem Versprechen locken Fitnessangebote all diejenigen, die nicht viele Stunden im Fitnessstudio, auf dem Fahrrad oder im Verein schwitzen wollen und trotzdem nicht herumhängen wollen wir einen Schluck Wasser. „Keine Zeit und trotzdem fit!“ Das ist das Motto für die en-passant-Fitnessprogramme. Ganz nebenbei, ohne Extrazeit und besonderen Aufwand kann man ihre Übungen nämlich in den gewohnten Ablauf des Tages einbauen. Das Auto steht an der roten Ampel? Bitte zehn Sekunden lang fest das Lenkrad umgreifen. Man sitzt in einer langweiligen Besprechung fest? Besonders ergiebig! Zwischendrin mit den Händen die Sitzfläche umgreifen und fest anziehen, dann mit aller Kraft mit der rechten Hand die linke Innenseite des Knies und mit der linken die rechte Innenseite des Knies gegen drücken. Usw. usw. Nach drei, vier Wochen schaut man in den Spiegel und blickt erstaunt ein zweites Mal hin. Sollen das etwa Muskeln sein, am Oberarm am Bauch und an den Schenkeln? Wirklich kein Couchpotatoe mehr, kein untrainierter Stubenhocker? Genial!

„Keine Zeit und trotzdem heilig!“

„Keine Zeit und trotzdem heilig!“ Geht auch das? Also jeden Tag ein paar Dutzend Übungen ganz nebenbei, und schon wird man… nun, vielleicht nicht gleich heilig, mit heroischem Tugendgrad und allem Drum und Dran, aber doch immerhin ein bisschen selbstbeherrschter, gesammelter, überlegter, kurz jemand, der sich selbst besser im Griff hat und bei dem es nicht heißt: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Mt 26,41). Denn Heiligkeit besteht darin, in allem den Willen Gottes zu tun. Dann ist der erste Schritt zur Heiligkeit nämlich schlicht und ergreifend Selbstbeherrschung. Ohne sie grätschen mir nämlich immer wieder Gefühle, Leidenschaften, spontane Impulse und blinde Regungen dazwischen, also der berühmt-berüchtigte innere Schweinehund. Nur wer es schafft, ihn zu überwinden, wird das Gute nicht nur wünschen, sondern es auch tun. Wie klagt dagegen schon der heilige Paulus: “ Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich“ (Röm 7,19). Aber genug der Theorie! Askese en passant, wie geht das praktisch?

Essen und Trinken

Beginnen wir mit dem Essen und Trinken. Oh, überblickt man all das verlockende Angebot in den Lebensmittelabteilungen, den Restaurants und den Vinotheken, wundert’s einen eher, dass wir nicht alle längst esssüchtig und leberkrank sind. Irgendwie scheinen wir doch ein bisschen Askese in den Genen zu haben: Die Zügel liegen schon bereit, man muss sie nur in die Hand nehmen. Was übrigens zeigt, dass alle Tugend schon in unserer Natur angelegt ist und darum nichts Verkrampftes hat, sondern uns nur so macht, wie wir wirklich sein könnten. Soweit die gute Nachricht. Aber leider kommt die Tugend doch auch wieder nicht von selbst, so wie jeden Morgen die Sonne aufgeht. Sie ist und bleibt Übungssache. Zum Fasten haben wir anderswo bereits einige Hinweise gegeben. Also zuerst die Grundübung: „Esst, was man euch vorsetzt!“ (Lk 10,8). Eine hervorragende Übung, gerade der Königsweg der Askese: zufrieden sein mit dem Gegebenen. Sie sucht ja nicht den Verzicht um des Verzichtes willen, sondern der Wille soll wie ein wildes Pferd gezügelt werden, damit er dahin reitet, wohin Gott ihn haben will, und nicht Ross und Reiter fröhlich in den Abgrund galoppieren. Das hat dann auch die angenehme Nebenwirkung, dass man selbst in Widrigkeiten und Enttäuschungen innerlich die Ruhe weg hat, also im Willen Gottes ruht und sich einfach seiner Vorsehung anvertraut. Aber zurück zum Essen und Trinken. Also nochmal, zufrieden sein mit dem, was da ist. Besonders am gemeinsamen Tisch, in der Familie, der Kantine oder in einem Kloster oder Priesterseminar bietet sich das an. Nicht die berühmten Extrawürste verlangen, nicht sich bloß die Lieblingsspeise herauspicken, nicht heute einfahren wie ein Scheunendrescher und morgen die Hälfte zurückgehen lassen, nur einfach weil das eine schmeckt und das andere nicht. Keine Lebensmittel wegwerfen, die noch gut sind, durchaus auch über das Mindest (!)-Haltbarkeitsdatum hinaus (auch nicht so Wohlschmeckendes nicht strategisch immer in den hinteren Bereich des Kühlschranks verschieben, bis es dann wirklich Schimmel angesetzt hat). Generell nicht den ganzen Wahn um die Inszenierung von Lebensmitteln mitmachen, sondern das Einfache, Handfeste und Substanzielle bevorzugen (was dann etwa auch bei Obst gleich wieder belohnt wird: knackiges, makelloses Obst ist meistens noch unreif, à point mit bereits kleinen braunen Flecken – z.B. bei Bananen – ist es köstlich!).

  • Noch wirksamere Variante der Grundregel: Vorher festlegen, wie viel ich auf den Teller tue, dann aber weder etwas stehen lassen noch einen Nachschlag verlangen.
  • Variante zwei: Nicht mäkeln, auch nicht über die kleinen Küchen-Malheurs – die Suppe ist nicht mehr heiß, die Salzkartoffeln machen ihrem Namen ein bisschen zu viel der Ehre (immer muss dafür der verliebte Koch herhalten!) oder der Koch hat sich bei den Portionen verkalkuliert und es gibt für alle ein bisschen weniger als geplant. (Dass mir jetzt im Inneren Todesängste kommen und Bilder von meinen ausgebleichten Gerippen aufsteigen, ist ebenso normal wie zu vernachlässigen).
  • Schließlich langsam essen, die Bissen einzeln verkosten, sich Zeit nehmen fürs Gespräch, da kommt man auch mit kleinen Portionen prächtig aus, was dann auch wieder der schlanken Linie zugutekommt. Ein Biss-chen weniger bei allem tut nicht weh, erhöht die Freude am Essen und besiegt gleichzeitig die so schädliche Mehr-als-genug-Haltung. Das stellt denn auch unter Beweis: Nur wer verzichten kann, kann auch genießen. Womit denn auch Askese als das Gegenteil jener faden Haltung des „Ist mir doch sowieso alles egal!“ erwiesen wäre.

Und beim Trinken? Wasser, Früchtetee und überhaupt Flüssigkeit kann man kaum zu viel zu sich nehmen. Kaffeefasten finde ich persönlich allerdings unklug, weil der Körper hier Gewohnheiten (das sind keine Süchte!) aufgebaut hat und mich beim Ausbleiben mit Müdigkeit und schlechter Laune bestraft. Anders beim Alkohol. Da ist das kluge Maß richtig wichtig. Also immer einmal wieder schlicht Nein sagen, auch wenn ich zum Trinken aufgefordert werde. Nein auch, wenn es einfach genug ist – mit Mineralwasser abzubremsen ist keineswegs ehrenrührig! Kleiner Trick: Zuerst immer auch ein Mineralwasser oder sonst etwas Nichtalkoholisches auf den Tisch bringen, dann werden Wein oder Bier nicht zum Durstlöschen in großen Zügen heruntergekippt. Ebenso am Abend oder in Pausen gar nicht erst die Gewohnheit des Belohnungstrinkens entwickeln („Man gönnt sich ja sonst nichts!“), vor allem nicht diese Gewohnheit sich allmählich steigern lassen, sondern lieber erfindungsreich sein in Alternativen.

Leibliche Übungen

Doch der Leib besteht nicht nur aus dem Gedärm. Auch für die übrigen Körperteile ist die einfachste Askese immer die, die sich gerade anbietet:

  • Stehen anstelle des ewigen Sitzens (z.B. beim Telefonieren oder auch am Stehpult),
  • Spaziergehen zur Entspannung anstelle bloß herumzulungern,
  • Treppensteigen anstelle des Aufzugs,
  • Kreuz aufrichten und Bauch einziehen anstelle von gebeugt Herumlaufen, als müsste man alle Last der Welt tragen,
  • aufrecht Sitzen ohne anzulehnen (ein Klassiker in der alten Mädchenerziehung, was so ganz nebenbei auch immer einfach gut aussah!),
  • ein Grad weniger heizen, dafür einen Pullover mehr anziehen (keine Angst vor dem Zwiebelprinzip!),
  • „No sports?“ Sport muss einem liegen, aber Bewegung muss man haben. Keine Lust? Umso besser für die Askese! Keine Zeit? „Gehe zurück zum Anfang dieses Blogs!“
  • „Wie seh‘ ich aus?“ Für kluge Worte zu Kleidung, Frisuren und Kosmetik fehlt mir leider die Grundkompetenz. Darum nur das asketische Grundprinzip dafür: Sich den Augen anderer angenehm machen, aber nicht aufdrängen. Oder auch: Persönlichkeit unterstreichen, Geist, Seele und Herz ausdrücken, nicht die schlichte Körperlichkeit zur Schau stellen.

Selbstbeherrschung der Sinne

Und die Sinne? Oh, das ist nun wirklich ein unerschöpfliches Betätigungsfeld zur klugen Selbstbeherrschung. Zum Geschmack war schon bei Essen und Trinken die Rede. Was ist mit den übrigen vier Sinnen?

  • Augen: Wie schwer fällt es mir, den Aus-Knopf beim Fernsehen zu drücken, wenn ein Film sexuell stimuliert oder Lust auf Aggression macht? Führen mich am Computer-Bildschirm oder auf dem Display die Icons für irgendwelche Links in Versuchung, die mit Sicherheit nicht zum Rosenkranzbeten einladen?
  • Ohren: Was macht welche Musik mit mir und wäre nicht oft die „Silence Band“ die bessere Wahl? Überhaupt gilt es, das Stille, Leise, Unaufdringliche zu lieben, sonst lebt man ständig in eine Blase künstlicher Stimulanzien.
  • Tastsinn: Packe ich raue Arbeiten an, Schrammen, Kratzer und blaue Flecken inclusive? Schlägt mir ein übervoller Linienbus, eine durchgelegene Matratze im Gästebett oder ein kratziges Kleidungsstück aufs Gemüt? Höchste Zeit, an mir zu arbeiten, „dass ich nicht zur Plage meinem Nächsten bin“!
  • Geruch: Attraktion oder Abstoßung bis zum Ekel wird sehr stark über die Nase vermittelt. Entsprechende Gefühle sind sehr elementar und kaum steuerbar. Dennoch kann man lernen, sich selbst zu überwinden – alle Personen in der Pflege können ein Lied davon singen. Wer es schafft, wird dann aber auch oft durch bleibendes Selbstbewusstsein und echte Seelenstärke belohnt.

Körper und Sinne, das sind nur zwei Bereiche, Beispiele für das weite Feld der Askese en passant. Vielleicht sind sie Augenöffner dafür, überall Gelegenheit zu finden, sich nicht von Impulsen leiten zu lassen, sondern von Vernunft und Maß. Zum Beispiel Sparsamkeit beim Shopping – fast immer ist weniger mehr. Zum Beispiel Gesundheit – was muss, das muss, manchmal auch der ungeliebte Arztbesuch oder die tägliche Rückenschule. Zum Beispiel Zeit – wer mich um etwas bittet, der darf mich auch stören; dem überraschenden oder ungeliebten Gast Zeit schenken; unangenehme Aufgaben zuerst erledigen und ganz schlicht sich an Zeiten halten (pünktlich erscheinen und rechtzeitig aufhören können, dabei auch etwas aus der Hand geben, was ich eigentlich ganz dringend und unbedingt noch fertig machen wollte).

Askese des Wortes

Ach, fast hatten wir es übersehen, dieses unscheinbare Körperteil, das doch am schwersten zu zähmen ist: die Zunge. „Die Zunge ist es, die den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt; sie selbst aber wird von der Hölle in Brand gesetzt“ (Jak 3,6). Wie wahr! Wie hochexplosiv ist sie, wie kann ein unbedachtes Wort Leidenschaften entflammen, Freundschaften zerstören, den Ruf schädigen oder auch nur mich selbst blamieren. Wie leichtfertig wird über andere geredet, schlecht geredet oder auch nur unnötig, wie bedenkenlos werden Gerüchte geglaubt und weitererzählt! Wie unbedacht kommen Worte über die Lippen, die mir und anderen nicht gut tun, die unwahr sind oder zumindest übertrieben oder verzeichnend, die verstimmen oder sogar verletzen (durchaus auch so, dass ich mich selbst in bestimmte Stimmungen hineinrede!). Oder in falsch verstandener Spontaneität einfach das hervorsprudeln lassen, was mir gerade auf dem Herzen liegt. Askese des Wortes, das wäre etwa:

  • weniger reden, dafür mehr zuhören,
  • zuerst nachdenken, dann reden,
  • nicht mich selbst suchen, in Szene setzen, mir ein Podium suchen, sondern mich in den anderen einfühlen, vom anderen her denken, auf ihn hin sprechen, ihn „auferbauen“ (also ihn ein kleines bisschen besser, froher, gelassener und letztlich gottgefälliger machen),
  • Verstimmungen im Gespräch nicht großwachsen lassen, sondern großmütig darüber hinweggehen – also nicht die Laus, die mir über die Lebe gelaufen ist, dem anderen in den Pelz setzen,
  • meine Sprache pflegen, den treffenden Ausdruck suchen, strukturiert sprechen und eben nicht reden, „wie einem der Schnabel gewachsen ist“ (nämlich leider doch oft spitz oder krumm),
  • deutlich artikulieren, Resonanz in die Stimme legen, Sprachmelodie entwickeln, Präsenz zeigen (auch im Mienenspiel) und vor allem „Herz und Mund und Tat und Leben“ (J. S. Bach) in Einklang bringen,
  • nicht in Gedanken schon ganz woanders sein,
  • schließlich Gespräche in der Gewissenserforschung Revue passieren lassen, die eigenen Schwachstellen analysieren und in Zukunft entschlossen an ihnen arbeiten.

Sprache ist die Brücke zwischen Geist und Leib, und darum zeigt sich nirgendwo so deutlich wie im Sprechverhalten, ob der Geist alles durchdringt oder ob ihm die Gäule durchgehen. Wie sagt Jakobus so treffend: „Wir alle verfehlen uns in vielen Dingen. Wer sich in seinen Worten nicht verfehlt, ist ein vollkommener Mann und kann auch seinen Körper völlig im Zaum halten“ (Jak 3,2).

Askese des Willens

So, jetzt sind wir doch allmählich mit dem Askese-Latein am Ende, oder? Nein, eigentlich erst am Anfang. Denn die leiblichen Übungen sind doch noch eher Vorübungen, sozusagen Aufwärmen der Muskeln. Beim allem Gesagten macht Übung den Meister. Wenn man nur lange und konsequent dranbleibt, kommt man überall zum Erfolg – übrigens auch bei den Versuchungen im sechsten Gebot, bei denen manch einer den Kampf gar nicht erst aufnimmt. Nein, ich kann, wenn ich nur will – getreu dem hl. Paulus: „Omnia possum. – Alles vermag ich durch den, der mich stärkt“ (Phil 4,13). Deshalb fängt die Fortgeschrittenenklasse der Askese erst da an, wo ich Leib und Sinne einigermaßen im Griff habe. Denn nun beginn die Askese des Willens, und die ist in der Tat härteste Arbeit – in vielen Punkten lebenslänglich! Denn nun zeigt sich, der Wille hält keineswegs die Zügel in der Hand, um das Gefährt nach dem Willen Gottes zu lenken. Nein, seine Wurzelsünde ist der Hochmut. Das ist gefallene Natur, und da hat er etwas von der „alten Schlange“ und dem „alten Adam“ in seinen Genen. Ja, man kann eiskalt, ganz professionell und mit größter Meisterschaft das Böse tun. Das ist dann nicht mehr Sünde aus Schwachheit und mangelnder Selbstbeherrschung, sondern schlicht aus Bosheit. Da tun sich Abgründe auf, und oft hält einen allein die Gnade und Barmherzigkeit Gottes noch. Die Askese des Willens erforscht sich, geht Fehlverhalten und Missstimmungen, unbewussten Wünschen und Ängsten bis auf den Grund nach, entlarvt bei sich allen falschen Schein, alle Selbstgerechtigkeit und alle Lebenslüge. Oh je, was ist dagegen ein bisschen Fasten oder Fernsehen-Ausschalten? Aber zu diesem Aufbaukurs ein andermal – Askese en passant ist doch auch schon einmal etwas, oder? Im Vergleich zu diesen Abgründen ist sie doch geradezu verlockend, nicht wahr?

Nach so viel Strenge am Ende dann doch noch ein bisschen Augenzwinkern. Der große Jesuitengelehrte und Kardinal Robert Bellarmin (1542-1621) stand im üppig-barocken Rom seiner Zeit im Ruf des großen Asketen, der bei Festmählern ähnlich spartanisch lebte wie der in dieser Hinsicht berühmt-berüchtigte hl. Karl Borromäus. Ein in Rom lebender Bischof lud ihn daraufhin einmal zu sich ein, setzte ihm aber ein äußerst frugales Mahl vor. (Solche „practical jokes“ liebten sie damals über alle Maßen!) Am Ende der Mahlzeit fragte er Bellarmin, ob er denn mit ihr zufrieden gewesen sei. „Assai, Monsignore, assai!“, gab dieser lächelnd zur Antwort – und der Gastgeber konnte sich jetzt selbst aussuchen, ob das hieß: „Ja, es war genug zum Sattwerden!“ oder „Genug mit solchen rauen Scherzen!“

Ein Gedanke zu „Askese „en passant“

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