Bin ich berufen?
Bin ich berufen? Berufen von Gott zu einem geistlichen Beruf? Zum Priester oder zu einem Ordens- und geweihten Leben? Also als Diözesanpriester in der Seelsorge oder einer anderen pastoralen Tätigkeit? Oder zu einem Leben in einem Kloster, einer Ordensgemeinschaft, einem Säkularinstitut oder als geweihte Jungfrau? Bin ich berufen dazu, alles zu verlassen und dem Herrn nachzufolgen? Also mein Leben einer Existenz zu weihen, die ganz anders ist als alles, was überall als normal, interessant, cool und erfüllend gilt? Bin ich deshalb auch dazu berufen, nicht „ganz normal“ eine Partnerschaft einzugehen und vielleicht einmal Familie zu haben?
Jetzt kann ich den Blog natürlich gleich wegklicken: „Nichts für mich! Eine Berufung, das ist für mich so weit weg wie der Mars. Da soll Elon Musk hinfliegen, wenn er Spaß daran hat und sein Geld dafür verpulvern will, aber nicht ich.“ Moment mal, da steht ein ziemlich verzerrtes Bild von einer Berufung dahinter. Sie ist nichts Ausgefallenes, Exotisches. Nicht nur für schräge Typen, Extra-Fromme, Frömmler und Leute, die im normalen Leben irgendwie nicht zurechtkommen. Wenn dieses Etikett „Nichts für mich!“ auf Berufungen jeder Art klebt, dann kann sie ja nur zum Ladenhüter Nummer Eins werden. Irgendwann nimmt man sie dann ganz aus dem Sortiment. Sprich: Da plant man eine Kirche ohne Priester und ohne Orden. Hut ab vor allem Engagement der Laien, aber eine solche Kirche wäre viel Apparat und wenig Herzblut. Wie dieses Etikett auf das Thema Berufung gekommen ist, wäre eine Geschichte für sich. Aber viel wichtiger ist: Zumindest aus dem eigenen Kopf muss es raus. Und zwar mit allen Resten, die noch hartnäckig kleben bleiben. Das Etikett gehört in den Plastikmüll und nicht auf meine Stirn.
Ein Blick in die Bibel genügt schon für diese Korrektur. Ja, Gott liebt alle in seinem Volk. Aber immer wieder hat er aber Einzelne auserwählt, von den Patriarchen angefangen, Königen wie David, Propheten wie Elia oder Jeremia, großen Frauen wie Sara, Hanna oder Judith. Jesus hat viele zum Glauben geführt, doch er hat Einzelne beim Namen gerufen: „Komm und folge mir nach!“ Diese haben dann alles verlassen, sie haben seine Lebensweise in Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam geteilt und haben ein neues Leben angefangen. Nicht umsonst nehmen Berufungsgeschichten und Jüngerbelehrungen einen großen Teil der Evangelien ein. Für Jesus sind die Jüngerinnen und Jünger das Herz seiner werdenden Kirche. Ihre Lebensweise verlangt viel, auch Opfer und Verzicht. Aber sie steht auch unter einer großen Verheißung: Sie schenkt ein Leben, das viele andere sich nicht einmal erträumen könnten. So fragt einmal Petrus ganz schlicht: „Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen?“ Jesus verspricht ihnen daraufhin eine hohe Ehre im Himmel: Sie werden „auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten“. Aber auch schon in diesem Leben folgt auf Opfer und Verzicht der große Gewinn: „Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen“ (Mt 19,27-29). Mit einer Berufung kann ich darum glücklich werden, ja hundertfach glücklicher als in einem gewöhnlichen Leben. Anders gesagt: Natürlich kann ich in der Bergen auch unten im Tal bleiben und es mir da schön machen. Aber wer einmal die Gipfel der Berge gesehen hat, wird sich zumindest die Frage stellen: Könnte ich da nicht auch hinauf?
Bin ich berufen? Sich zumindest diese Frage stellen, das sollte sich also jeder junge Mensch. Auch ich! Und dabei weiß ich: Ich gerate mit einer Berufung nicht ins Abseits, sondern in die Nähe des Herrn. Natürlich werden mich dann heute viele nicht verstehen. Rote Teppiche wird mir niemand wie früher ausbreiten – aber das war wahrscheinlich sowieso nicht gut. Manche werden heute dumme Witze über meinen Weg machen. Aber das muss man nicht ernst nehmen. Es ist wie die Lästereien derer, die im Tal in der Dorfwirtschaft sitzen und über die Bergsteiger ihre dummen Bemerkungen machen. Wer ernsthaft über eine Berufung nachdenkt, hat wirklich seinen eigenen Stolz und macht sich frei vom Gerede und den „guten Ratschlägen“ der anderen. Dadurch wird er innerlich erst richtig frei, vielleicht zum ersten Mal im Leben.
Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter (Mt 9,37)
Eignung und Neigung
Aber das Etikett „Nichts für mich!“ ist hartnäckig und hinterlässt Klebereste. Ein solcher Rest ist die Vorstellung, eine Berufung sei etwas Mystisches. Da müsse jemand schon beinahe mit eigenen Ohren die Stimme Jesu gehört haben. Etwas ganz Außergewöhnliches müsse ihm widerfahren sein. Nein, in sicher 90 % der Fälle spricht Gott bei einer Berufung so, wie er sich auch sonst im Leben zeigt: durch Zeichen. Das können äußere Zeichen sein und innere. Beides nennen wir dann Eignung und Neigung. Was ist das? Beginnen wir mit der Eignung, also den äußeren Zeichen Gottes für eine Berufung.
- Ich habe die Gnade des Glaubens. Es ist ein lebendiger Glaube. Er ist mir wichtig, er gehört zu mir und meinem Leben. Darum bete ich auch, ich denke an Gott und spreche mit ihm. Natürlich schließt das Zweifel nicht aus, Höhe- und Tiefpunkte. Trotzdem lässt Gott mich nicht kalt.
- Ich habe die Eignung für einen bestimmten geistlichen Beruf. Worin besteht sie genau? Das kommt natürlich auf den konkreten Beruf an. Ein Diözesanpriester etwa muss ganz schlicht mit Leuten umgehen können, Rückgrat haben, Verantwortung übernehmen, zuhören und reden können, ein Gespür für das haben, was in anderen Menschen vorgeht, treu und verlässlich sein, Gebet, Gottesdienst und die Heilige Schrift lieben und ein mittelschweres Studium mit Unterstützung durch andere bewältigen können. Ein bisschen wenig? Gut, das Stichwort Glaube kommt noch zuallererst hinzu, und darum wurde es eben schon genannt. Ein Priester muss alles mit den Augen Gottes anschauen und darum nicht ruhen, wenn so viele leben, als ob es Gott nicht gäbe.
- Wie ist das aber bei dem geweihten Leben, etwa in einem Orden? Erstes Anzeichen einer Berufung ist natürlich ebenfalls ein lebendiger Glaube. Alles Weitere hängt von der Ausrichtung des Ordens ab: Komme ich mit seiner Lebensweise zurecht, kann ich mich mit seinen Aufgaben identifizieren? Also etwa bei kontemplativen und monastischen Klöstern mehrere Stunden Gebet am Tag und die Klausur mit ihrer Bindung an einen bestimmten Ort und eine bestimmte Gemeinschaft.
Natürlich muss diese Eignung noch nicht perfekt sein. Jeder geistliche Stand beginnt mit mehreren Jahren des Lernens, der Reifung und der Selbstprüfung. Einzelne Dinge können einem auch auf Dauer schwerfallen. Das ist normal und das weiß auch jede geistliche Gemeinschaft. Keiner muss perfekt sein, aber jeder lernfähig.
… wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen (Mt 10,39)
Neigung
Zu den äußeren Anzeichen der Eignung für einen geistlichen Beruf tritt die innere Neigung. In meinem Innersten, im Gewissen, sagt mir etwas: „Das könntest du versuchen. Der Weg ist vielleicht lang, manches erscheint schwer, irgendwie wirkt es sogar verrückt. Aber irgendwie wird mein Herz weit bei dieser Vorstellung.“ Auch hier gilt: Neigung verlangt keine mystischen Erfahrungen, kein umstürzendes Berufungserlebnis. Vielleicht schaue ich einfach die Welt mit den Augen des Herrn an: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (Mt 9,37). Es gibt heute Milliarden Menschen, die nie wirklich dem Glauben begegnet sind. Das sind Menschen, die in die große Ernte Jesu eingehen könnten, es aber nicht tun, weil vorne und hinten Arbeiter bei der Ernte fehlen. Der Mangel an Berufungen ist darum eine der größten Nöte der Kirche. Es geht um den Weg des Lebens für Unzählige. Hat mir das nichts zu sagen? Könnte ich da nicht mithelfen?
Die Welt mit den Augen des Herrn anschauen, das bedeutet auch, eine Neigung zu einem geistlichen Beruf muss nicht schon vorhanden sein. Ich kann sie auch erwecken, aufwecken. Sie kann mir allmählich dämmern oder es kann mir in einzelnen Erfahrungen wie Schuppen von den Augen fallen. Ich muss also nicht schon eine brennende Sehnsucht danach haben. Mein Kopf und mein Herz kann von ganz anderem beschäftigt sein, und ich kann voll und ganz mit meinem bisherigen Leben zufrieden sein. Dennoch schenkt Gott besondere Momente, die mir die Augen öffnen.
- Das können Krisen und Enttäuschungen sein;
- Abschnitte im Leben wie der Abschluss eines Studiums;
- Vorbilder und Begegnungen mit besonderen Menschen;
- Bücher, die einem zu denken geben;
- Exerzitien, geistliche Intensivzeiten oder Tage in einem Kloster.
Auch bei der Neigung finden sich hartnäckige Klebereste. Sie sagen: Der Sinn des Lebens, das Lebensglück hängt daran, dass ich mir meine eigenen Wünsche und Vorstellungen verwirkliche. Ehrlich gesagt, eine ziemlich platte und unrealistische Lebensauffassung! Aber wir hören sie halt seit unseren Kita-Tagen von allen Seiten und denken oft gar nicht mehr darüber nach. Natürlich ist sie ganz schlicht der Leim einer Gesellschaft, die auf Konsum gebaut ist. Da ist der Mensch vor allem ein Bedürfniswesen. Enttäuschungen, Vergeblichkeit, Verzicht, Opfer, Leiden und Kreuz, sie kommen da nicht mehr vor. Höchstens lässt man sie zu als wichtige Erfahrungen, die bereichert haben. „Bereichert“, es geht also um Reichtum, das große Ziel der Konsumgesellschaft. Wie wäre es, diese platte Vorstellung einfach beiseitezuschieben und stattdessen zu sagen: Der Sinn des Lebens besteht darin, Gott zu erkennen, mit ihm zu leben und für ihn Frucht zu bringen. Für eine mögliche Berufung heißt das: Entscheidend sind nicht zuerst meine Bedürfnisse und Befindlichkeiten, sondern das „Rede, Herr, dein Diener hört!“ (1 Sam 3,9). Da wird das Leben zu einem Abenteuer, im Vergleich dazu eine Kreuzfahrt in der Karibik Langweile pur ist. Das Erstaunlichste dabei ist: Wer bereit ist, auf Gott zu hören, wird sich selbst ganz neu finden. Gott hält mir auch für meine Bedürfnisse das Beste bereit, also etwa wunderbare Freunde oder große Dankbarkeit von Menschen. „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt 10,39).
Rede, Herr, dein Diener hört! (1 Sam 3,9)
„Sex muss sein?“
Greifen wir nur noch einen Lebensbereich heraus, bei dem viele von vornherein sagen werden: „Das ist mir wichtig, ohne das kann ich mir kein gutes Leben vorstellen.“ Was das ist, ist nicht schwer zu raten: Sexualität, Partnerschaft, Ehe und Familie. Unser Etikett „Berufene sind verrückt“ stammt ja zu großen Teilen aus dieser Ecke. Es wird vielleicht noch etwas vornehm verpackt, aber nach dem zweiten Glas Bier sprechen die Leute dann vielleicht doch ziemlich handfest aus, was sie denken: „Sex muss sein!“ Oder genauer gesagt: Sie plappern das nach, wovon sie beinahe schon von Kindsbeinen an zugedröhnt werden. Das ist natürlich einfach falsch, und es wird auch nicht richtiger dadurch, dass es einem an jeder Straßenecke gesagt wird. Denn der große Unterschied bei den vitalen, vegetativ und hormonell gesteuerten Bedürfnissen ist gerade der: Essen und Trinken muss sein, Sex aber nicht. Auch nicht fürs seelische Gleichgewicht, für ein lustvolles Leben oder dafür, ein ganzer Mann, eine ganze Frau zu sein. Je häufiger so etwas suggeriert wird, umso mehr erkennt man, wie leer diese modernen Mythen sind. Das alles ist bloß „dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke“ (1 Kor 13,1).
Von diesen Meinungen kann ich mich sicher frei machen. Aber vielleicht bin ich selbst in Sachen Sexualität kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ich habe Beziehungen oder habe sie gehabt, auch intime. Ich bin zwar nicht verheiratet, aber ich lebe in einer festen, verbindlichen Partnerschaft und kann mich nicht einfach trennen. Ich befriedige mich öfters selbst. Ich konsumiere im Internet Porno. Meine Neigungen sind anders, als die Kirche sich das vorstellt. Vor allem: Das alles hat sich schon tief in meinem Verhalten festgesetzt. Da könnte ich nur schwer von heute auf morgen einen Schlussstrich ziehen. Wollte ich es überhaupt? Nun, Sexualität ist immer zu ordnen, denn sie ist Ehrenmitglied im Chaosclub. Das meiste, was eben gesagt wurde, ist für jeden Christen in Ordnung zu bringen. Es ist nichts nur für Berufene. Diese Ordnung ist aber für die meisten ein Langstreckenlauf, eigentlich sogar eine Lebensaufgabe. Warum? Erotik, sexuelle Erregung, Lust und Befriedigung haben eine Wunderwaffe. Jede Erfahrung damit setzt sich in unseren Synapsen fest, und die signalisieren mir dann: Das musst du wieder haben! Verrückterweise ist das sogar oft so, obwohl die konkrete Erfahrung banal, beschämend oder unbefriedigend war. Aber das Gute an den Synapsen ist auch wiederum: Sie lassen sich überschreiben. Das braucht nur Zeit, Entschiedenheit und vor allem positive Erfahrungen des Gegenteils. Aber möglich ist es, das ist die gute Botschaft. Für meine Frage „Bin ich berufen?“ bedeutet das: Die genannten Erfahrungen und Gewohnheiten geben kein endgültiges Nein zur Antwort. Wohl aber verlangen sie konsequente Arbeit an sich selbst. Selbstverständlich schließt das auch alle Mittel an, die Gott mir dafür in die Hand gibt, also etwa Fasten und Askese, Exerzitien, geistliche Begleitung und Beichte, Gebet und sakramentales Leben. Als Faustregel gilt: Spätestens wenn die endgültige Bindung in Weihe oder Profess bzw. Gelübde ansteht, muss ich ehrlich sagen können: Mit Gottes Hilfe schaffe ich das.
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Bin ich berufen? Es kann fast jeden erwischen, wer nicht schon fest in der Ehe gebunden ist. Wenigstens dem Gedanken daran einmal eine echte Chance zu geben kann der Anfang eines großen Abenteuers werden…
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