die Relevanz eines – auch über sich selbst – aufgeklärten Konservatismus

Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Der schwierige Konservatismus, in: ders. (Hg.), Rekonstruktion des Konservatismus (= Sammlung Rombach NF 18), 19-54

 

Kaum jemand hat in neuerer Zeit so belesen, kundig und frei von vorschnellen Parteinahmen den Konservatismus erkundet und zu seiner modernen Identität beigetragen wie der Österreicher Gerd-Klaus Kaltenbrunner, der sich nicht scheute, von einer „Tendenzwende“ zum Konservatismus zu sprechen. Dieser Grundsatzartikel für den von ihm herausgegebenen, rundum empfehlenswerten Sammelband wurde später auch separat veröffentlicht. Er besticht durch große Kenntnis der Autoren und Thesen ebenso wie durch ein klares Urteilsvermögen über deren Stärken und Schwächen sowie die Herausforderungen der Gegenwart. Der vorliegende Artikel begibt sich auf die Suche nach dem Wesen des Konservatismus. Dabei problematisiert er verschiedene Antwortversuche, etwa indem er auf eine Reaktion gegenüber der Französischen Revolution eingeengt oder ausschließlich als restauratives Phänomen gedeutet wird. Zu Recht erkennt er, dass diese Bewegung kaum an bestimmten überzeitlichen Inhalten festzumachen ist, da diese anders als bei Liberalismus oder Sozialismus historisch sehr wandelbar waren und sind. Wie ist aber dann aus dem Konservatismus mehr als ein Schlagwort zu machen? Anspruchsvoll ist Kaltenbrunners eigene Antwort, der Versuch einer „transzendentalsoziologischen“ Begriffsbestimmung, also einer Art kritischer Theorie des Konservatismus, um ihn von einer bloßen Apologie von Besitzständen abzugrenzen – daher übrigens auch seine ausgeprägte Vorliebe für konservative Vordenker anstelle von Scharfmachern. Er entwickelt sie aus vier markanten Zitaten von Burke, Eichendorff, Baader und Gentz und bestimmt sie „als die Einsicht in die Bedingungen intakter sozialer Institutionen und nichtkatastrophischen sozialen Wandels“ (45) oder einfacher, „daß Fortschritt überhaupt nur möglich ist auf der Grundlage von Tradition“ (46). Angesichts dieses umfassenden Ansatzes erscheint Kaltenbrunners abschließende Spurensuche nach Symptomen für die „Relevanz eines – auch über sich selbst – aufgeklärten Konservatismus“ (49) überraschend zaghaft (hellsichtig freilich seine Insistenz auf der Ökologie als ein konservatives Thema). Denn er sieht in ihm eher einen „Mahner, Korrektiv und Avantgarde des Bewahrens“ (49), der den eigentlichen Strom der Geschichte nur begleitet, nicht aber prägt – selbst wohl ein Symptom dafür, wie stark Anfang der 70er Jahre das Dogma von der umfassenden Gesellschaftsveränderung um sich gegriffen hatte.

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