Max Weber, Wissenschaft als Beruf. Nachwort von Friedrich Tenbruck; ders., Politik als Beruf. Nachwort von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1995. 1992

 

Max Weber auf der Lauenstein Tagung 1917

Max Weber liest man immer mit Gewinn, auch dann, wenn man ihm nicht in allem zustimmen kann. Denn Weber vereint einige Vorzüge, die unter deutschen Gelehrten nur selten zu finden sind:

  • eine umfassende Bildung und Belesenheit, mit der er mühelos von altbabylonischen Sternenkundigen über chinesische Mandarine und mittelalterliche Vasallen bis zu zeitgenössischen Revolutionären unterwegs sein kann;
  • den Blick des Soziologen für die materiellen Grundlagen von ansonsten häufig rein idealistisch abgehandelten Wirklichkeiten wie Staat, Wissenschaft, Journalismus und Macht;
  • den Willen zur Integration verschiedener Aspekte in seine „verstehende Soziologie“: Ökonomie im Zeichen der Ausbildung des Kapitalismus als System rationalen Wirtschaftens, epochaler Wandel zur Entzauberung der Welt, rationaler Verwaltungsstaat und nicht zuletzt Einfluss religiöser Überzeugungen und ihrer Säkularisierung auf die Ausbildung der modernen Welt;
  • schließlich eine ausgesprochene rhetorische Begabung, die ihm immer wieder eine treffende Formulierung, den exakten Begriff, das goldene Zitat eingibt (beide Vorträge wurden ursprünglich frei und in äußerst lebendiger Rede gehalten, mitstenographiert und dann von Weber zu kleinen Traktaten verschriftlicht).

All das findet sich in knapper, aber bestens lesbarer Form in zwei Beiträgen, die aus Vorträgen 1917 und 1919 in München hervorgegangen sind: „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“. In vielen Bemerkungen sind darin die großen Einsichten seines wahrhaft klassischen Werkes zusammengefasst, so dass beide Schriften auch eine ausgezeichnete Einführung in Webers Denken darstellen. Voraussetzungslose, werturteilsfreie Wissenschaft, Gesinnungs- und Verantwortungsethik, traditionale, charismatische und bürokratische Herrschaft oder Politik als das Bohren harter Bretter, das sind Gedanken daraus, die längst in das akademische Alltagsbewusstsein eingegangen sind. Umso mehr lohnt es sich, ihnen am Original nachzugehen.

Erstdruck von „Wissenschaft als Beruf“

Wissenschaft als Beruf

Beginnen wir mit „Wissenschaft als Beruf“. Gemeint ist damit der wissenschaftliche Beruf schlechthin, der des Professors. Da beginnt der in Erfurt geborene Soziologe gleich mit einigen kräftigen Warnungen an alle Habilitierten und die es werden wollen – um nicht zu sagen: mit wohlbegründeter Abschreckung:

  • „Ob es einem solchen Privatdozenten, vollends einem Assistenten, jemals gelingt, in die Stelle eines vollen Ordinarius und gar einen Institutsvorstandes einzurücken, ist eine Angelegenheit, die einfach Hasard ist: Gewiß: nicht nur der Zufall herrscht, aber er herrscht doch in einem ungewöhnlich hohem Grade“ (7) – verstärkt noch dadurch, dass es bei Berufungen zugeht wie bei der Papstwahl oder der Nominierung eines amerikanische Präsidentschaftskandidaten: „Nur selten hat der Kardinal, von dem man sagt: er ist ‚Favorit‘, die Chance durchzukommen. Sondern in der Regel Kandidat Nummer zwei oder drei“ (8). Wie aktuell!
  • Dazu kommt die Suggestion des Erfolges, gemessen an der Hörerzahl (heute variiert in der Zahl der in eine Fakultät Inskribierten und neuerdings in den mit einem Fetischcharakter ausgestatteten sogenannten Drittmitteln) – der Tod jener „geistesaristokratische[n] Angelegenheit“ (10), die die deutsche Universität eigentlich ist.
  • Schließlich der Gegensatz zwischen „dem inneren Berufe zur Wissenschaft“, dem reinen Leben für die Forschung, und dann eben doch nach Jahren das Gefühl, keine der eigenen Leistung entsprechenden Position erlangt zu haben. „Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hinaussteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?“ (11).

Doch diese Warnungen sind nur Vorspiel – typisch Weberianisch mit einem Sinn für die Realien des Lebens, gepaart mit einer nüchternen Liebe zu denen, die in der Gefahr sind, Opfer ihres eigenen Idealismus in eine Welt zu werden, die sie nicht mehr verstehen. Eigentliches Thema ist der persönliche Beruf zur Wissenschaft, und da kehrt der Hasard ein zweites Mal wieder: Es geht nicht ohne Leidenschaft, Sitzfleisch und konsequente Spezialisierung auf ein vielleicht sehr beschränktes Gebiet, aber ob dann die entscheidende Eingebung kommt oder auf sich warten lässt, das hat man nicht mehr in der Hand. „Hat man doch!“, erwiderten viele in den lebensphilosophisch jugendbewegten 20er Jahren – und haben sich dabei „in den Dienst einiger Götzen gestellt, deren Kult wir heute an allen Straßenecken und in allen Zeitschriften sich breit machen finden. Jene Götzen sind: die ‚Persönlichkeit‘ und das ‚Erleben‘“ (15), also zu beweisen, „daß ich, in der Form oder in der Sache, etwas sage, das so noch keiner gesagt hat wie ich“ (16). Wie aktuell, zum zweiten (zumindest in den Geistes- und Kulturwissenschaften)! Weber setzt einen seine goldenen Sätze dagegen: „‚Persönlichkeit‘ auf wissenschaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient“ (15).

Aber auch diese Beobachtung dient nur als Vorbereitung zum Kernproblem, der Rationalisierung der Moderne und damit der Wissenschaft in einer entzauberten Welt, also ihrer Voraussetzung, „daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne“ (19). Sehr klarsichtig beobachtet Weber ein weitgehendes Ungenügen an einer solchen rationalisierten Wissenschaft, die auf „künstlichen Abstraktionen, die mit ihren dürren Händen Blut und Saft des wirklichen Lebens einzufangen trachten“, beruht (21). Denn im Zuge dieser Entzauberung entstand ein enormes Sinnvakuum, das aber die Wissenschaft nach Weber nicht füllen kann – und darf. Tolstojs Frage „Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben?“ bricht sich an der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft, genauer: der strikten Trennung ihrer genuin tasachenbezogenen, die technische Beherrschung der Welt anzielenden Identität von allen Seins- und Wertfragen. Daran haben sich schon damals die Geister geschieden, und noch Husserls Krisis-Schrift von 1936 entwirft dazu eine denkwürdige Alternative. Dass diese Trennung methodisch notwendig ist, wird niemand bestreiten – wenigstens theoretisch nicht, denn praktisch erlebt man es immer wieder, „daß wo immer der Mann der Wissenschaft mit seinem eigenen Werturteil kommt, das volle Verstehen der Tatsachen aufhört“ (31). Und Webers eindringliche Warnung vor dem Politisieren, der Parteigängerei, dem Wunsch, auf dem Katheder Führer und nicht bloß Lehrer sein zu wollen (35), gar dem Heilsanspruch von „Kathederprophetien“ (41), kann man nur doppelt unterstreichen. (Doppelt deshalb, weil Weber ja auch treffend die Machtposition des Professors im Auge hat, wenn er kritisiert: „Aber es ist doch etwas allzu bequem, seinen Bekennermut da zu zeigen, wo die Anwesenden und vielleicht Andersdenkenden zum Schweigen verurteilt sind“; 37). Aber dass die Trennung unaufhebbar sei, „weil die verschiedenen Wertordnungen der Welt in unlöslichem Kampf untereinander stehen“ (32), das geht mehr auf Webers Neukantianismus zurück, den eher sich bei Rickert angeeignet hat, denn auf abschließende Argumente. Weber nimmt sein apodiktisches Urteil im Grunde selbst wieder zur Hälfte zurück, wenn er die Leistungen der Wissenschaft für das persönliche Leben anführt: Kenntnisse über Techniken der Lebensbeherrschung, Methodik des Denkens und Klarheit (37). Aber auch die grundsätzliche Unabgeschlossenheit der Forschung und das Ethos, „unbequeme Tatsachen anerkennen zu lehren“ (32), verbieten zwar Ideologien und Fundamentalismen, aber doch kaum eine geistige Hilfestellung, „sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns“ (39). Das kann nur behaupten, wer alle Sollensfragen zu einem singulären, stets nur im Abgrund des eigenen Gewissens zu regelnden Wirklichkeit macht, ohne sie in objektiven Seinsordnungen gründen zu lassen. Dass der Soziologe bei diesem neukantianischen Apriori wissenschaftlicher Theologie nichts abgewinnen klar, ist ebenso konsequent wie verfehlt, und wenn das Ethos der Forschung gerade in der Offenheit auf die sich nie ganz enthüllende Wahrheit besteht, wird man sie kaum als „die spezifisch gottfremde Macht“ (24) bezeichnen können.

Erstdruck von „Politik als Beruf“

Politik als Beruf

In diesem zweiten Vortrag, der in wesentlich erweitertem Umfang schriftlich ausgearbeitet wurde, finden sich manche Gedanken aus der Wissenschaftsschrift Webers wieder: Rationalisierung der Welt und damit auch der Politik, Entzauberung und Ablösung von religiösen Heilserwartungen, eine schroffe Trennung zwischen religiösen Heilserwartungen und einer darin begründeten Ethik von einer politischen Ethik. Letztere ist gekennzeichnet von der „Rücksichtslosigkeit des Blickes in die Realitäten des Lebens, und [der] Fähigkeit, sie zu ertragen und ihnen innerlich gewachsen zu sein“ (80). Überhaupt, sein ungeschönter, nüchterner, gelegentlich die Schwelle zum Zynismus streifender Sinn für die Wirklichkeit und seine Absage an jede weltanschauliche Überhöhung von Staat, Politik, Beamtentum, Parteienwesen, Macht und Gewalt sind kennzeichnend für diese Schrift. Das Bild des Politischen ist dabei deutlich dunkler als das der Wissenschaft (man bedenke das Datum des Vortrags nur wenige Monate nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit seinem Chaos und seiner politischen Ungewissheit!) – sicher verzeihlich bei einem Professor, der zuletzt nur einige eher verunglückte Schritte in die Politik unternommen hatte.

Unmöglich lässt sich die Fülle der angesprochenen Themen wiedergeben, insbesondere die breiten Darstellungen der Entwicklung des politischen Systems in England, in den USA und in Deutschland. Bleiben wir bei den Spitzenaussagen. Zunächst die berühmte, vielfach bestrittene Staatsdefinition, nach der dieser innerhalb eines bestimmten Staatsgebietes „das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“ (6, vgl. 7 sowie zum modernen Staat 13). Also keine hegelianische Staatsmetaphysik, keine historistische Staatsmythologie und auch keine Überhöhung als Verkörperung einer Volksgemeinschaft, sondern schlicht funktional: letzte Sanktionsgewalt. Bevor man sich darüber empört, mag man sich an Paulus erinnern mit seinem Wort von der staatlichen Gewalt, die das Schwert trägt (Röm 13,1-7). Da hat man in nuce Webers ganze moderne Entzauberung der Macht und damit auch des Staates, und dies nicht gegen das Christentum, sondern aus seinen Wurzeln! Freilich, bedauern muss man, dass Weber sich nicht weiter bei dem entscheidenden Kriterium „legitim“ aufhält. Legitimität kann ja im Letzten nicht allein darauf beruhen, dass jeder Widerstand erstickt ist, sondern dass der Staat die Herrschaft des Rechtes verkörpert und dieses Recht wiederum in einer substantialen, an vorgegebenen Ordnungen orientierten Gerechtigkeit gründet (bei Paulus: die Gewalt ist von Gott verliehen) – dieses Kriterium ist ja bekanntlich nach Augustinus der Unterschied zwischen Staaten und Räuberbanden. Einmal mehr macht ihm an dieser Stelle seine neukantianische Trennung von Seins- und Wertsphäre einen Strich durch die Rechnung, und er verzichtet auf die Frage nach den wertgebenden Wirklichkeiten. So bleibt ihm nur die faktische Beschreibung der „Legitimitätsgründe einer Herrschaft“ (8) in den Idealtypen traditionaler, charismatischer und legaler Herrschaft. Doch auch das ist schon erhellend genug, ebenso wie seine nun breit und historisch ausgefaltete Erörterung der Herrschaftsmittel, dem „materiellen Entgelt und [der] soziale[n] Ehre“ (10). Der entsprechende Durchgang durch die Geschichte ist aufschlussreich genug. Er endet beim modernen Verwaltungsstaat, der „die sachlichen Betriebsmittel [sc. den Staatshaushalt und -besitz] in der Hand seiner Leiter vereinigt, die sämtlichen eigenberechtigten Funktionäre aber, die früher zu Eigenrecht darüber verfügten, enteignet und sich selbst in seiner höchsten Spitze an deren Stelle gesetzt hat“ (13). So ist der moderne Staat das Ergebnis einer Monopolisierung und wenigstens implizit auch Totalisierung – das war ja genau der Gegenstand der heftigen Kritik des klassischen Konservatismus (etwa bei Adam Heinrich Müller) am jakobinischen Staatsverständnis der Französischen Revolution. Damit geht einher die Entwicklung zum Berufspolitiker und somit zum „latente[n] Kampf“ (23) zwischen dem politischen, auf Machtgewinn und -erhalt ausgerichteten Beamtentum (etwa eines Ministers) und dem fachkompetenten politischen „arbeitsteiligen Fachbeamtentum“ (21, etwa im Stab eines Ministeriums). Mit chirurgischer Präzision leitet Weber an späterer Stelle daraus die Alternative moderner Herrschaft ab: „Führerdemokratie mit ‚Maschine‘ [sc. der Verwaltungsbeamten] oder führerlose Demokratie“ (59, letztere als Herrschaft des „Klüngels“ und Dominanz der Bürokratie).

Berufspolitiker, das bedeutet auch ein Leben nicht nur für, sondern auch von der Politik – sei es plutokratisch nur für den kleinen Kreis derer, die es sich aufgrund fester Einkünfte ohne eigene Arbeitsleistung leisten können (etwa die englischen „gentrys“, 29), oder sei es, dass er in welcher Art auch immer aus seiner politischen Tätigkeit auch materiellen Gewinn erzielt. Letzteres eröffnet das weite Feld der Ämterpatronage, der „Stellenjägerparteien“ (20), des amerikanischen „spoil system“ (51), d.h. dass man nach einer gewonnenen Wahl die eigenen Anhänger mit Ämterpfründen versieht, der Schlüsselstellung von Parteien und der „Figur des Parteibeamten“ (38), aber auch das weite Feld des Kampfes um politische Stellen, um Führerschaft, Gefolgschaft und Gefolgschaftstreue (herrlich die Skizze des amerikanischen „Boss“, 52-54), um Beherrschung der öffentlichen Meinung und nicht zuletzt um das treffende, die Massen gewinnende Wort (vor allem in schriftlicher Form, weshalb auch der Journalismus so wichtig wird, dem Weber denkwürdige Überlegungen widmet, 33-38).

All das ist genau analysiert und aus einer breiten Länderkenntnis und einer geschichtsvergleichenden Soziologie geschöpft. Dann aber steuert Weber auf die Frage zu, die auch in der Wissenschaftsschrift das Herzstück ausmacht, die nach der Ethik, genauer nach dem Berufsethos eines Politikers. Diese Seiten sind das eigentliche Glanzstück des Traktates. Über ihrem Eingang stehen die drei Qualitäten eines guten Politikers: „Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß“ (62). Dahinter lauert jedoch eine Versuchung. Es ist nicht, wie man vermuten möchte, die der Macht (nach ihr legitimerweise zu streben zeichnet ihn ja gerade aus), sondern „die ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der Distanz, sich selbst gegenüber“ (63). Dadurch wird sein „Machtstreben unsachlich und ein Gegenstand rein persönlicher Selbstberauschung […], anstatt ausschließlich in den Dienst der ‚Sache‘ zu treten“ (63). Doch diese Mahnung könnte noch in einem alten Fürstenspiegel stehen. Typisch Weber und bereits vertraut aus seiner Wissenschaftsschrift ist dagegen die Mahnung, Politik nicht zur Projektionsfläche ethischer Rechthaberei zu machen (67), d.h. apodiktische Überzeugungen, die im Privaten ihre Geltung haben, auf die Sphäre des Staates und damit der Gewaltsamkeit zu übertragen. Konkret: Die „Ethik der Bergpredigt“ mit ihrem „ganz oder gar nicht, das gerade ist ihr Sinn“ (68) kann unmöglich im staatlichen Handeln Geltung beanspruchen, das gerade auf „Zwang und Ordnung gegen alle“ gründet (69). Hier nun fällt die berühmte Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik (70). Eigenartigerweise bleibt Weber hier deutlich hinter seiner sonstigen definitorischen Schärfe zurück, und man hat beinahe den Eindruck, dass er damit genau das tut, was er in „Wissenschaft als Beruf“ dem Professor verbat: als Politiker wirken zu wollen, und sei es auch mehr als berechtigt in der Mahnung zu einer nichtidealistischen Politik im von Ideologien zerfressenen Nachkriegsdeutschland von 1919. Wie vorausschauend sagt er zur Lage der Nation: „Nicht das Blühen des Sommers liegt vor uns, sondern zunächst eine Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte“ (82). Ohnehin und oft übersehen lässt Weber den Streit zwischen beiden Ethiken nicht 1:0 für die Verantwortungsethik ausgehen, sondern er kennt durchaus das erschütternde Drama, bei aller Verantwortung für die Folgen doch eines Tages an einem Punkt zu stehen, an dem man sein „ich kann nicht anders, hier stehe ich“ spricht (81). Eine kleine Nebenbemerkung: Für ein katholisches Denken erweist sich der Gegensatz der beiden Haltungen ohnehin als künstlich, denn jeder Akt wird da von seinem realen Ziel und nicht von der es begleitenden Gesinnung gekennzeichnet. Das Gewissen ist dadurch verantwortlich an die realen Verhältnisse gebunden, und für seine Entscheidungen stellt dieses Denken ein feines Instrumentarium bereit, etwa die Berücksichtigung der (u.U. artverändernden) Umstände, der Bedingungen legitimer Mitwirkung an etwas Bösen, dem Unterschied von stets und unter allen Umständen zu meidenden Handlungen und von guten, aber nicht immer zu verwirklichenden Handlungen usw.

Wer auch in der Politikschrift Webers auf goldene Zitate aus ist, wird fündig, so anlässlich des Politikers: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht“ (7), und: „Politik wird mit dem Kopfe gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele“ (62f.; dann aber auch ausgleichend: „Wahrlich: Politik wird zwar mit dem Kopf, aber ganz gewiß nicht nur mit dem Kopf gemacht“, 80), des Daseins eines Parlamentariers: „Leben besteht nur in der Wahlzeit“ (41), dem eines Journalisten, „über alles und jedes, was der ‚Markt‘ gerade verlangt, über alle denkbaren Probleme des Lebens, sich prompt und dabei überzeugend äußern zu sollen, ohne nicht nur der absoluten Verflachung, sondern vor allem der Würdelosigkeit der Selbstentblößung und ihren unerbittlichen Folgen zu verfallen“ (37), und dem Unterschied zwischen den USA und Deutschland im Zitat von amerikanischen Arbeitern: „Wir haben lieber Leute als Beamte, auf die wir spucken, als wie bei euch eine Beamtenkaste, die auf uns spuckt“ (55).

 

Ertrag

Der Ertrag der beiden Schriften Max Webers ist reich, vielleicht gar nicht so sehr als letztes Wort zu wichtigen Fragen von Wissenschaft und Politik denn als Schule der Wahrnehmung einer Vielzahl von Wirklichkeitsebenen (einschließlich des „Wes‘ Brot ich ess…“), eines geradezu asketisch-nüchternen Blicks auf die Realität jenseits aller Wunschträume und Idealisierungen, auch eines Sinns für Strukturen, Bürokratien und ihre anonyme Macht sowie für die umfassende Rationalisierung und Entzauberung der Welt und den daraus resultierenden Hunger nach Weltanschauung und Selbstbestätigung. All das müsste Grundnahrungsmittel eines Konservatismus sein, der nach Karl Mannheim ja vom konkreten Einzelnen in seiner Komplexität und oft genug auch Irrationalität ausgeht und dagegen jeden Anspruch bekämpft, diese Realität durch menschengemachte Ideen und Begriffe erlösen zu wollen. Dies genau tun ja linke Intellektuelle mit dem oft alleinseligmachenden Anspruch einer neuen Priesterkaste, wie Schelsky das so treffend geschildert hat, und mit einer Hyper-Moralisierung der Politik – so Gehlen – ebenso wie der Wissenschaft. Doch nicht weniger trifft man es in manchen ideologisch-konservativen Kreisen an, die, um mit Weber zu sprechen, zwar viel Leidenschaft, aber wenig Verantwortungsgefühl und überhaupt kein Augenmaß aufweisen. Kein Wunder, dass sie wissenschaftliche Rationalität als Erbfeind empfinden und das Politische ihnen nicht mehr bietet als eine Projektionsfläche ihrer Rechthaberei.

 

Max Weber stammte aus Erfurt (* 21. April 1864) und vollendete sein Leben in München ( † 14. Juni 1920). Er ist einer der bedeutendsten Klassiker der Soziologie. Sein Ansatz ist der einer verstehenden, d.h. soziale Erscheinungen als sinnhafte Gebilde deutenden Soziologie. Sie vereinigt historische, ökonomische, herrschaftssoziologische und nicht zuletzt religionssoziologische Aspekte. Politisch kann man ihn kaum einem bestimmten Lager zuordnen (gewiss auch nicht dem konservativen), sondern in seinen vielschichtigen Äußerungen findet man Beobachtungen, Kategorien und Argumente, die jeder Gesellschaftsanalyse unentbehrlich sind. 

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