Sven-Uwe Schmitz, Konservativismus (= Elemente der Politik), Wiesbaden 2009

Wer sich je mit Konservatismus (oder „Konservativismus“ wie bei Schmitz) beschäftigt hat, kann Sven-Uwe Schmitz nur dankbar sein. Es ist ihm gelungen, ein umstrittenes und kaum je überzeugend gefasstes Phänomen einer der großen politischen Bewegungen knapp, allgemeinverständlich und nachvollziehbar auf nur 170 Seiten vorzustellen. Von sechs Kapiteln ist das erste und das letzte systematisch gehalten, dazwischen geht er historisch nach den großen Epochen vor:
•    vor- und frühkonservatives Denken bis 1830 (Kap. 2),
•    die politische Bewegung im Deutschland von 1830 bis 1918 (Kap. 3),
•    „konservative Reaktionen“, wie es in Abwandlung des berühmten, von Thomas Mann ursprünglich über Nietzsche geprägten und von Achim Mohler dann den konservativen Strömungen in Weimar gegebenen Begriffs im Singular heißt, in Weimar, NS-Deutschland und den Nachkriegsjahren bis zum Grundgesetz 1949 (Kap. 4)  sowie
•    „Konservatives in Deutschland nach 1950“, so passend unbestimmt für die eher diffusen und recht verschiedenen Ansätze in der Bundesrepublik (Kap. 5).

Hilfreiche Schaubilder und Literaturhinweise machen das Bändchen zu einem gelungenen Studienbuch. Drei Grenzen sind allerdings zu beachten: 1. Schmitz beschränkt sich fast ausschließlich auf Deutschland, wohl wissend, dass der Konservatismus in anderen Ländern eine sehr verschiedene Ausprägung genommen hat (zumindest einen Geschmack davon geben einige Hinweise in 2.5). 2. Seit 1830 ist für ihn die Geschichte des Konservatismus weitgehend Parteiengeschichte und nicht Ideengeschichte (besser in 2.4 mit der konservativen Publizistik bis 1830). Das ist zweifellos ein gewisser Ausfall, besonders für die Weimarer Zeit. 3. Angesichts des begrenzten Umfangs wählt Schmitz einen exemplarischen Zugang, so in Kap. 2. Wilhelm August Rehberg (1757-1836) im Gegensatz zu Rousseau sowie dem Wirtschaftsdenken von Adam Müller (1779-1829) gegen Adam Smith. So kommen wichtige andere Denker nur beiläufig oder überhaupt nicht zu Wort.

Nun aber zur Systematik der beiden Rahmenkapitel. So knapp sie gehalten sind, so sehr haben sie es in sich und gehören zum Bleibenden des Buches auch für die Fachdiskussion. Ganz zu Recht weist Schmitz zunächst in 1.1 sechs Annäherungsversuche an das Phänomen als unzureichend zurück, u.a. wenn sie es allein als defensive Reaktion auf die Französische Revolution verstehen oder auf die Haltung des ängstlichen Bewahrens reduzieren. Schmitz setzt seine zentrale These dagegen: Auf den sechs Feldern von Ontologie (Weltanschauung), Gesellschaftsbild, Staatsvorstellung, Politikverständnis, Menschenbild  und Wirtschaftsdenken lassen sich quer durch die Zeiten bestimmte konservative Grundpositionen ausmachen, also z.B. in der Ontologie das Wissen um vorgegebene, werthaltige Ordnungen religiöser, natürlicher oder historischer Art (vgl. Schaubild S. 15f.). Auf diese sechs Felder bezieht Schmitz auch seine historischen Darstellungen. In der Quintessenz am Ende wird eine Grundsympathie für einen aufgeklärten, modernen Konservatismus spürbar, der ihm in verschiedenen Politikfeldern geradezu eine Gunst der Stunde bescheinigt. In den derzeitigen Verwerfungen in der Wählerschaft ebenso wie in den großen Richtungen der Politik hat die Dringlichkeit eines konservativen Elementes sicher nicht abgenommen.

Überzeugt der Ansatz bei den sechs Grundpositionen? Nur bis zu einem gewissen Grad. Ontologisch etwa sah die naturrechtliche Herleitung der Menschenrechte in der Aufklärung im Sein des Menschen durchaus eine letztbegründende Verpflichtung zum politischen Gestaltungsauftrag. Anderes Beispiel: Der amerikanische Konservatismus geht in der Regel keineswegs vom Staat als einem organischen Personenverband aus, sondern er bekämpft häufig einen solchen kommunitaristischen Ansatz heftig. Auch vermeidet es Schmitz, genau inhaltliche Positionen anzugeben und zieht sich stattdessen auf recht allgemein gehaltene „Ansichten“ zurück. Es geht ihm also um im Grunde vorreflexive Voreinstellungen zum öffentlichen Leben, also das, was Gerd-Klaus Kaltenbrunner einmal mit mehr gedanklichem Aufwand als „transzendentalsoziologischen Gehalt des Konservatismus“ bezeichnet hat. Das ist klug, denn keine politische Bewegung war im Lauf ihrer Geschichte programmatisch so wandlungsfähig wie der Konservatismus. Gewissermaßen ein gemeinsames Parteiprogramm der Konservativen aus  200 Jahren hätte die Schnittmenge Null. Selbst „typische“ Ideen wie Nation, Ordnung und starker Staat wurden keineswegs immer vertreten. So handelt es sich selbst bei diesen Ansichten eher um Familienähnlichkeiten, wie Wittgenstein sagt, also um einen festen inhaltlichen Kernbestand. Die Frage nach dem eigentlich Konservativen bleibt also weiterhin offen.

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