Der gesuchte Dichter ist Horaz (18.12.65 vor Chr. – 27. 11.8 v. Chr).

Das gesuchte Zitat lautet „Dulce et decorum est pro patria mori.“

Auf Deutsch übersetzt wäre das etwa: „Süß und ruhmvoll ist es, für das Vaterland zu sterben.“

Es handelt sich um eines der bekanntesten, insbesondere seit den Schrecken des Ersten Weltkriegs aber auch umstrittensten, um nicht zu sagen verleumdesten Zitate des Horaz. Es stammt aus den Oden bzw. Carmina 3,2,13. Für unser Rätsel wurde es ausgesucht, weil sich an diesem Wort schön zeigt, welcher Gewinn darin besteht, sich nicht mit Schlagworten zu begnügen, sondern zu den Quellen selbst zu gehen – also hier dem ganzen Gedicht.

Teilgenommen hat dieses Mal ein kleiner, aber feiner Kreis. Dabei war auch eine Interpretation des gesuchten Verses gefragt, und dabei haben sich alle mit Bravour bewährt. Der Preis wurde inzwischen ausgelost.

Statue des Horaz in Venosa (Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/ba/Statua_di_Orazio.jpg)

Das gesuchte Wort und sein Gedicht

Das Gedicht „Angustam amice“ von etwa 27/28 v. Chr. im alkäischen Metrum ist die zweite der sechs seit dem 19. Jahrhundert so genannten „Römeroden“ zu Beginn des dritten Buches der Oden des Horaz. Aus verschiedenem Blickwinkel trägt er als Dichter, Philosoph und Römer eine Analyse des Verfalls Roms und den Aufruf zu seiner Erneuerung durch die Tugend des Einzelnen vor. Tugend, so dieses zweite Lied, aber besteht nach altepikuräischer Lehre, der Horaz folgt, darin, selbstgenügsam zu werden, also mit Wenigem zufrieden zu sein („pauperiem pati“ auch programmatisch in carm. 1,1,18) und sich nicht der Tyrannis der eigenen Bedürfnisse zu unterwerfen, gleichzeitig autark, also unabhängig vom Man, der Menge und der Meinung anderer. Beinahe meint man die Sprache des Evangeliums zu vernehmen, den Aufruf, durch die enge Pforte zu gehen, das Hohelied der Armen im Geiste, das Leben als Kampf und Bewährung und das Wechselspiel von Todesbereitschaft (das „mori“ in unserem V. 13) und die Erringung der Unsterblichkeit („recludens inmeritis mori / Coelum“, VV. 21f.). Freilich, hier geht es um Rom und nicht ums Himmelreich, und die Notwendigkeit des Kriegsdienstes – für jeden Römer eine Selbstverständlichkeit – stand besonders angesichts der schmachvollen Niederlage gehen die Parther unter Crassus 53 v. Chr. (V. 3, vgl. carm. 3,5) allen vor Augen. Nun, da Augustus erneut zum Kampf gegen sie rüstet, hilft nur echte virtus, wörtlich Mannhaftigkeit, also Tugend, wie sie Horaz versteht: sich selbst nicht zu schonen, sich abzuhärten im soldatischen Leben (VV.2-6), dadurch den Feind abzuschrecken (VV. 6-12), zuhöchst durch seine Opferbereitschaft, die seinen Tod in der Schlacht ehrenvoll macht und nicht beschämend wie beim Feigen, der auf der Flucht erschlagen wird (VV. 13-16; Horaz selber hat wohl mehrfach als Soldat gekämpft, ist also nicht auf den Augenblick seiner Flucht bei Philippi festzunageln!). Tugend – virtus – steht auch im Mittelpunkt des Gedichtes, das catchword in V. 17 und 22. Sie wird nun in Treue zu sich selbst und der sittlichen Ehre und Absonderung von der Gunst der Masse (VV.17-24) sowie in religiöser Bindung und Abgrenzung von denen, die heilige Geheimnisse ausplaudern und die als Frevler („incestus“, V. 30) und Verbrecher („scelestus“, V. 31) der Strafe Gottes geweiht sind. Nur wenn die altrömische, jetzt aber mit Füßen getretene Tugend wiederkehrt („priscus et neglecta redire virtus“, carm. saec. 58), blüht Rom wieder auf.

All das sind Lieblingsthemen des Horaz, insbesondere das Lob des einfachen Lebens, die Annahme des Hier und Jetzt, Individualismus und Persönlichkeitsbildung, Absonderung von der Menge („Odi profanum volgus et arceo“, carm. 3,1,1), Pflege eines besseren, gebildeten Lebens im auserlesenen Freundeskreis (das Gedicht ist an den „amice“, den Freund gerichtet, V. 1!) und Verachtung für rückgratlose Politik (vgl. carm. 3,1), die das Fähnchen populistisch in den Wind der Stimmungen hängt („arbitrio popularis aurae“, V. 20, vgl. carm. 1,1,7f. und 1,1,30-32). Alles zusammengefasst ist in carm. 3,29,55f.: Die Fortuna schenkt heute reichlich und entflieht morgen schmählich, doch der Dichter entsagt gerne ihren Geschenken:

„Virtute me involvo probamque

Pauperiem sino dote quero. –

Ich umkleide mich in die Tugend und

Halte ohne Mitgift um die ehrbare Armut an.“

Die Armut als Braut – beinahe lässt dies bereits an den hl. Franziskus denken. Dass dieser Freund der Kunst, der Liebe und des einfachen, glücklichen Lebens alles andere als ein Kriegstreiber und Militarist war, belegt etwa die frühe Epode 7, eine leidenschaftliche Anklage gegen den Bürgerkrieg.

Horaz-Übersetzung S. G. Langes (1752) (Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e6/Samuel_Gotthold_Lange%2C_Horaz_%281752%29%2C_ii-iii.jpg)

Was bedeutet inmitten dieser poetischen Morallehre das „Dulce et decorum“-Wort? Es handelt sich um eine Anspielung auf ein Wort des griechischen Dichters Tyrtaios aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. (fr. 6 D), der das Sterben für das Vaterland in der ersten Reihe der Krieger als schön (kalón) bezeichnet. Überdies gehörte Soldaten für den Kampf zu motivieren zu den Grundformen der öffentlichen Rede, und dabei an die Ehre zu appellieren war ein fester Topos: Wenn schon die Angesprochenen als Soldaten ihr Leben im Kampf aufs Spiel setzen sollen, dann sollen sie wissen, dass es sittlich gut und darum auch schön und ehrenvoll ist, in dieser Stunde Tapferkeit zu zeigen bis zuletzt. Doch all das ist nur Hintergrund für die höchst ausgefeilte Wendung bei Horaz. Der Satz wurde nicht zufällig sprichwörtlich, denn es handelt sich um eine Sentenz – genauso wie der Eingangsvers „Angustam amice pauperiem pati“. Damit werden beide Verse zu tragenden Säulen des Ganzen. Eine weitere Beobachtung verstärkt den Eindruck: Zu beachten ist auch die lautmalerische Alliteration „dulce“ / „decorum“ und „pro patria“, Letzteres übrigens bereits im Leitwort des ganzen Gedichtes zu Beginn angetönt: „pauperiem pati“, dort ebenfalls durch eine zweite Alliteration vorbereitet: „Angustam amice“!  „dulce“ / „decorum“ murmelt den weichen Konsonanten D, „pro patria“ dagegen das harte, geradezu ausspuckende, alle Furcht verachtende P. D.h. das harte Los des Kriegstodes wird da „süßer“, wo es nicht bloß übermächtiges Geschick, sondern Teil einer bewussten, weisen Lebensführung der Genügsamkeit und der sittlichen Ehre wird. „Süß“ ist hier nicht das momentane Empfinden in der Stunde der Todesangst und des grausamen Sterbens – das wäre tatsächlich zynisch und ideologisch -, sondern das Gefühl, dass die patria und ihre Frauen, Kinder und Männer in Dankbarkeit auf den schaut, der selbst das „angustam pauperiem pati“ in äußerster Bewährung verwirklicht. Das Sterben geschieht also unter den Augen derer, denen man in Liebe und pietas verbunden ist und die einem das Lebensopfer zutiefst danken werden. Diese Spiegelung soldatischen Geschicks in den Augen der Betrachtern – das übrigens seine christliche Parallele findet im Wissen der Märtyrer, im Angesicht Gottes, der Engel und Heiligen zu sterben – könnte übrigens zu einem Schlüssel des ganzen Gedichtes werden. Während man es ansonsten gerne in zwei Hälften aufspaltet und mit V. 16 einen Schnitt setzt, ist es in Wirklichkeit zusammengehalten vom Thema des Spiegels in den Augen anderer: im ersten Teil die „matrona tyranni“, die nur die Kräfte vergleicht und ihrem unerfahrenen Mann vom ungleichen Kampf mit dem feindlichen Löwen abrät, im zweiten Teil dagegen eine virtus, die sich gerade lossagt von Volksgunst und Volksmeinung und die das Ehrgefühl der honor verinnerlicht (insofern hat Hommel 246 wohl die entscheidende Neuerung des Horaz genau verpasst, wenn er ihm im „Dulce et decorum“-Wort noch ein altrömisches bzw. althellenisches Ehrgefühl der „der patriotischen Ideologie“ attestiert, das darum im Kontrast zum zweiten Teil des Gedichtes stehe).

Das Gedicht im Wortlaut

Das Original des Gedichts und eine recht wörtliche Übersetzung findet sich bei diesem Link. Eine Schlüsselstelle für das Verständnis des „Dulce et decorum“-Wortes ist dabei sicher der Anfang:

Angustam amice pauperiem pati

robustus acri militia puer

condiscat et Parthos ferocis

vexet eques metuendus hasta.

Die entscheidende Stelle lautet:

Dulce et decorum est pro patria mori:

mors et fugacem persequitur virum

nec parcit inbellis iuventae

poplitibus timidove tergo.               15

[in der recht wörtlichen Übersetzung:]

Der vom harten Militärdienst starke Junge möge es lernen, Mangel und Armut willig zu ertragen und als furchterregender Reiter soll er mit der Lanze die wilden Parther quälen und unter freiem Himmel soll er sein Leben auch in unruhigen Situationen führen.

Von den feindlichen Mauern erblickt jenen die Frau des kriegstreibenden Tyrannen und die reife Jungfrau seufzt, dass, ach, der königliche Bräutigam, unerfahren im Kampf, nicht den rauen Löwen durch eine Berührung reize, den der blutige Zorn mitten durch das Gemetzel reißt.

Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben: Der Tod verfolgt auch den fliehenden Mann und er schont nicht die Kniekehlen und den ängstlichen Rücken der feigen Jugend.

Die Tugend, sie kennt keinen schändlichen Misserfolg, strahlt in unbefleckten Ehren und weder nimmt sie die Beile noch legt sie sie nieder nach dem Willen des windigen Volkes.

Die Tugend, sie öffnet denen, die es nicht verdient haben zu sterben, den Himmel, und sie versucht einen Weg auf verbotener Strecke und verachtet die bürgerliche Zusammenkunft, dem feuchten Boden mit dem Flügel entfliehend.

Auch für treues Schweigen gibt es den sicheren Lohn: Wer den Geheimkult der Ceres preisgibt, dem werde ich verbieten, mit mir unter dem gleichen Dach zu sein und das zerbrechliche Boot zu fahren.

Häufig hat Jupiter einen Unbescholtenen unbeachtet einem Unheiligen hinzugefügt, selten hat die Strafe, trotz lahmen Fußes, einen vorbeiziehenden Verbrecher verlassen.

Das revidierte Adlerfenster im Lichthof der LMU: „Mortuorum virtute tenemur“

Die Entfernung des Horazverses an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität 1958

1958 kam es zu einer denkwürdigen Kontroverse um den „Dulce et decorum“-Vers am schmiedeeisernen „Adlergitter“ im Lichthof, das an die gefallenen Kommilitonen der Universität erinnert und dessen Buchstaben gerade erst im Rahmen des erst 1957 abgeschlossenen Wiederaufbaus neu vergoldet wieder angebracht worden waren. Der Lichthof ist bekanntlich auch Schauplatz der Flugblattaktionen der Weißen Rose von 1943, die nahe Aula war in den ersten Jahren nach dem Krieg Sitz der Bayerischen verfassungsgebenden Versammlung, des Landtags und des Senats. Das Horazwort – aus seinem Zusammenhang herausgerissen – an diesem hochhistorischen Ort hatte bereits seit einiger Zeit Proteste hervorgerufen, die sich bald zu einer regelrechten Symbolpolitik mit vehementen Befürwortern und Gegnern weit über die Universität hinaus emporsteigerte. Ausgelöst wurde es durch die Aktion eines Studenten, der  über den römischen Vers den (allerdings wohl etwas mit heißer Lateiner-Nadel gestrickten) Spruch gehängt hatte: „Turpe et stupidum est pro amentia loqui. Schändlich und dumm ist es, für den Wahnsinn zu sprechen.“ Der Senat der Universität ließ die Inschrift schließlich (entgegen einem ASTA-Votum) verdecken und forderte zu Alternativen auf, die allerdings auch die „Weiße Rose“ ehren und ein „Ideal, für das sich einzusetzen lohnt“, ausdrücken sollten. Liberale und sozialistische Studentenverbindungen setzten jedoch eine außerordentliche Studentenvollversammlung durch. Am 30. Januar – Gedenktag der Machergreifung 1933! – votierten 75 % der über 3000 versammelten Studenten nach leidenschaftlicher Diskussion für den irenischen Vorschlag des Rektors, der Chemiker Professor Egon Wiberg: „Mortui viventes obligant. Die Toten verpflichten die Lebenden.“ Dieses Ersatzwort erwies sich allerdings als das neulateinische Motto des „Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge“. So schuf der klassische Philologe  Georg Pfligersdorffer den Ersatz: „Mortuorum virtute tenemur. – Durch die Tugend der Toten werden wir getragen“. Wer das Horaz-Gedicht als Ganzes kennt, könnte in dieser neuerlichen Korrektur doch auch wieder den Versuch einer Annäherung an Horaz erkennen, nämlich das Lob einer einfachen, die eigene Bequemlichkeit und Selbstsorge geringschätzenden Lebensweise. Noch eindrucksvoller jedenfalls bewies wohl ein ungarischer Student im Exil den Sinn für den authentischen Geist des Gedichtes, als er bei der stürmischen Vollversammlung darum bat, das entfernte „Dulce et decorum“-Wort zum Gedenken seiner 1956 beim Budapester Aufstand gefallenen Kommilitonen überlassen. – Wie auch immer, bei der Einweihung des Mahnmals für die „Weiße Rose“ am 13. Juli 1958 hielt Romano Guardini die Rede.

Treppenaufgang im Lichthof der LMU mit „Adlergitter“ und Gedenkplakette

Der Dichter

Horaz – oder mit vollem Namen Quintus Horatius Flaccus – stammte aus Venusia (heute Venosa) im süditalienischen Lukanien (Apulien) und war Sohn eines Freigelassenen und Auktionator in Rom. Der Vater investierte viel in die Bildung seines Sohnes. Vor allem das Studium der griechischen Literatur und Philosophie, insbesondere der Ethik Epikurs, in Athen prägte ihn. Nach der Ermordung Caesars an den Iden des März 44 v. Chr. kämpfte er auf der Seite von dessen Mördern Brutus und Cassius, und zwar in der im Rang durchaus hohen Stellung eines Militärtribunals. Mit dieser Truppe erlitt er auch die historische Niederlage bei Philippi („Bei Philippi sehen wir uns wieder“). Er selbst suchte sein Heil in der Flucht. Seitdem war ihm nicht nur das Militärwesen, sondern auch überhaupt das öffentliche Leben eher suspekt – die unter dem Eindruck des Bürgerkriegs entstandenen Gedichte sind geradezu düster und voll Anklage. (…)

Nach dem Debakel von Philippi suchte Horaz seinen Lebensunterhalt als Staatsschreiber im Schatzamt zu verdienen, hatte er doch infolge der Konfiszierung der Güter der Verlierer nun auch noch sein Elternhaus ebenso wie das Stadthaus des Vaters (und auch wohl diesen selbst) verloren. Entscheidende Wendung nahm sein Leben, als ihn Maecenas (das Vorbild und der Namensgeber für alle späteren „Mäzene“) ihn nach einer neunmonatigen Prüfungszeit auf Vermittlung Vergils und Varius‘ 38/37 v. Chr. in seine Gesellschaft aufnahm (beschrieben in der Satire 1,6,54-62) – denn Maecenas war ebenso anspruchsvoll wie wählerisch (Satire 1,9). Dieser Maecenas-Kreis war Kunst, Gedicht, Lied, Philosophie und Lebensgemeinschaft gewidmet. Der reiche Maecenas nahm Horaz nicht nur mit einem Schlag alle materiellen Sorgen ab, sondern zeichnete ihn später auch durch ein Landgut in den Sabiner Bergen bei Tivoli aus, das der Dichter heiß und innig liebte und in das er sich gerne aus der lauten Großstadt Rom zurückzog.

Sein dichterisches Werk umfasst nicht mehr als insgesamt ein Bändchen Literatur. Aber welch eine Literatur! Durchschnittlich nicht mehr als zwei Gedichte im Monat vollendete er, so sehr feilte und arbeitete er an der Vollendung seiner Werke. Neun Jahre müsse eine Dichtung reifen, bis sie vollendet sei, so hat er einmal geraten. Bertold Brecht, der das „Dulce et decorum“ in einem Schulaufsatz 1915 einmal auf das Heftigste kritisierte, meinte doch später bewundernd, Horaz sei deshalb bis heute lesenswert, weil er seine Verse in Marmor meißelte und nicht in Dreck wie die Heutigen.

Hier noch einige Indizien aus dem Rätsel und ihre Auflösung:

  • „Mei Rua will I!“ heißt bei Horaz: „Beatus ille qui procul negotiis. – Glücklich, wer sich fern von den Geschäften hält.“ Das Gedicht (…) ist ein Loblied des ruhigen Landlebens, am Ende allerdings mit der typisch horazischen Pointe, dass diesen Wunsch ein stadtbekannter Wucherer ausmalt, nur um dann wieder zu seinem schmutzigen Geschäft zurückzukehren!
  • Der Gönner und Freund, der ihm alle finanziellen Sorgen abnahm und ihn mit einem Schlag in die erste Reihe der römischen Dichter rückte, war der besagte Maecenas – das Vorbild und der Namensgeber für alle späteren „Mäzene“.
  • Die Traumreise zur „Insel der Seligen“ besingt er in 16. Sie ist mehr als eine harmlose Träumerei und ruft vielmehr die „melior pars“ (V. 15.37) Roms dazu auf, die „pii“ (V. 66) mit „virtus“ (V. 39) und Entschlossenheit, das Eisernen Zeitalter des Hier und Jetzt mit seiner Rohheit und Gewalt hinter sich zu lassen.
  • Der linke Dichterkollege ist Bertold Brecht. In einem Schulaufsatz ließ er sich über das „Dulce et decorum“-Wort als „Zweckpropaganda“ aus und meinte, davon könne man nur faseln, solange man selbst vom „Heldentod“ weit entfernt sei. Dann fährt er in Anspielung auf die Flucht Horaz‘ bei Philippi fort: „Tritt der Knochenmann dann aber an sie selbst heran, dann nehmen sie den Schild auf den Rücken und entwetzen wie des Imperators feister Hofnarr bei Philippi, der diesen Spruch ersann“ (zit. bei Hommel, Dulce 220f.). Beinahe wäre Brecht übrigens über dieses Verdikt der Schule verwiesen worden, so sehr kam diese Kritik damals noch einem Bildersturm gleich.
  • Der Medienliebling und sogenannte Literaturpapst ist Marcel Reich-Ranicki, der Horaz mit diesem Wort als „Schreibtischtäter“ beschimpfte – mehr vollmundig als kenntnisreich.
  • Die „beinahe priesterliche Rolle als Brückenbauer zu einem glücklichen Leben“ hat er recht wörtlich genommen und sich als „Musenpriester“ verstanden (3,1,3).
  • Die vier Sammlungen und zwei Einzelstücke sind die Epoden („Jamben“), Oden („Carmina“), Satiren und Briefe sowie das „Carmen saeculare“, den offiziellen Festgesang zur Säkularfeier Roms, und „De arte poetica“ mit den Hinweisen für dilettantische Dichter.

Das dichterische Werk

Damit sind wir auch schon beim begrenzten, aber perfekt ausgearbeiteten Werk des Horaz. Darin kann man drei große Phasen unterscheiden:

  • das oft spritzig-freche Frühwerk der Epoden und der frühen Satiren, noch geprägt vom Wahnsinn des Bürgerkriegs und einer moralisch zerrütteten Welt – daher auch der offensive, nicht selten scharfe Ton, dem diese Gattungen entgegenkamen;
  • die Reifezeit mit den ersten drei Büchern der Oden (Carmina) und des ersten Buches der Briefe/Episteln (31-20 vor Christus) und schließlich
  • die von einem gewissen Alter („gewiss“- er war nun jenseits der 50), und es umfasst das vierte Odenbuch und das zweite Briefe-Buch.

Epoden („Jamben“): In dieser 17 Gedichte umfassenden Sammlung führt Horaz eine Dichtungsart von Wechselversen in Rom ein, die Archilochus von Paros im 7. vorchristlichen Jahrhundert unter den Griechen bekannt gemacht hatte (vgl. epist. 19) und die Sappho und Alkaios gepflegt hatten: spritzig-giftiger Witz, mit dem er sich aus den Ansprüchen und Anmaßungen seiner Zeit freischreibt. Bekannt ist sein schon zitiertes Lob des einfachen Landlebens („Beatus ille qui procul negotiis“, epod. 2) – allerdings mit der Pointe, dass dieses Lob der Wucherer spricht, bevor er wieder seinen trüben Geschäften nachgeht. Damit hat er sicherlich auch sein eigenes Schwärmen fürs Landleben ironisiert. Unter die Haut geht seine Anklage des Roms de Bürgerkriege in epod. 7 und wie zum Kontrast die bereits erwähnte Utopie der Insel der Seligen (epod. 16).

Satiren: Die Sammlung besteht aus zwei Büchern aus zwei deutlich verschiedenen Lebenszeiten des Dichters. Vor allem das erste Buch (erschienen 35 v. Chr.) ist ein idealer Einstieg für Horaz-Novizen. Mit der Gattung Satire greift Horaz nun eine römische Form auf, die es erlaubt, Hochpersönliches pointiert und mit Witz auszudrücken („ridentem dicere verum“, satir. 1,1,24). Bei Horaz heißt das immer auch: Kritik des Menschlich-Allzumenschlichen, der sittlichen Unvollkommenheit, gemessen am hohen Ideal der „vita beata“ des ursprünglichen Epikuräismus: Genügsamkeit, Maß, Sich-Freuen am Gegebenen, Verzicht auf Habgier und Ehrsucht usw. Köstlich sind insbesondere seine Schilderungen des Alltagslebens. Gerade seine Moralsatiren haben ihm lange Zeit im christlichen Mittelalter einen guten Namen gegeben; Dante etwa verlieh ihm deshalb noch einen privilegierten Platz im „Inferno“. Das zweite Buch erscheint dagegen auf den ersten Blick abgeklärter, für manche darum aber auch fader – zu Unrecht. Nicht nur die Krone, die 6. Satire mit dem bekannten Gleichnis von der Stadtmaus und der Feldmaus, ist ein Juwel. Wo etwa in der Antike wurde treffender über das Essen mit allem Drum und Dran geschrieben? Doch auch die lächelnde Parodie seiner selbst im Mund seines eigenen Sklaven beweist die gewonnene Reife (satir. 2,7). Alles atmet hier Humor, ja bisweilen Übermut und einen durch reiche Erfahrung geschärften Blick fürs Menschliche.

Oden (Carmina): Zweifellos der Höhepunkt des Horaz’schen Schaffens ist seine Odensammlung in vier Büchern – das vierte ist dabei gewissermaßen ein späteres Postscriptum zu den bereits 23. v. Chr. herausgegebenen drei ersten Büchern. Mit dem „Dulce et decorum“-Gedicht und den sechs „Römeroden“ haben wir bereits ausführlich Bekanntschaft gemacht.

Carmen saeculare: Es ist das wichtigste Auftragswerk des Horaz, von Kaiser Augustus zur Jahrhundertfeier der Stadt Rom verlangt und in einem Prozessionsgesang von Jungen und Mädchen bei ihrem Weg vom Kapitol aufgeführt.

Briefe (Episteln): Wie die Satiren in zwei Bücher aufgeteilt sind die Briefe, die in metrischer Form gegenüber verschiedenen Adressaten zumeist Fragen der Philosophie, Kunst und Lebensführung behandeln. Bei der Veröffentlichung der drei ersten Odenbücher war er 42 Jahre alt, „nel mezzo cammin‘ di mia vita“, und das stellte für ihn einen Einschnitt dar, um sich von „Wein, Weib und Gesang“ nun noch ausdrücklicher den ernsten Fragen des Lebens zuzuwenden. Doch ähnlich wie bei den Satiren liegt der Reiz wiederum in der zutiefst inkarnierten moralischen Wahrheit, die im Gewand treffender Alltagsbeobachtungen daherkommt.

De arte poetica: Wiederum in metrischer Form und darin den Briefen verwandt, gibt der erfahrene Dichter den zahlreichen (und nicht immer begabten) Neulingen in der Dichtkunst Tipps, Hinweise und Mahnungen für das zumeist unterschätzte Geschäft der Dichtung. Es handelt sich also beileibe um keinen geschlossenen Traktat, sondern eher um ein zwangloses Gespräch des Meisters mit Novizen und Möchtegerns.


Literatur:

Gut greifbar ist die zweisprachige Horaz-Ausgabe in der bekannten Tusculum-Reihe: Horaz. Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch, München: Artemis 91982.

Empfehlenswerte Einführungen in sein Werk gibt es viele, darunter:

Eckhard Lefèvre, Horaz. Dichter im augusteischen Rom, München: Beck 1993.

(knapper:) Bernhard Kytzler, Horaz. Eine Einführung. Mit 15 Abbildungen, Stuttgart: Reclam 1996.

Zum gesuchten Horaz-Vers vgl. auch: Hildebrecht Hommel, Dulce et decorum, in: Rheinisches Museum für Philologie. Neue Folge 111, H. 3 (1968) 219-252.

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