Sommerzeit – Gelegenheit, einmal wieder ein richtiges Buch in die Hand zu nehmen. Kein Kochbuch für die Corona-Küche in Home-Office-Zeiten, auch kein Lehrbuch für die nächste Prüfung, sondern ein Einfach-so-Buch. Was nicht unbedingt eine einfache Lektüre bedeutet, durchsichtige Effekte für den Kitzel der Sinne, die danach beim Zuklappen des Buches aber das schale Gefühl hinterlassen, Zeit vergeudet zu haben. Eine einfache Lektüre verspricht der Autor, der im Mittelpunkt des Sommerrätsels 2020 steht, nun allerdings wirklich nicht. Was nicht heißt, er könnte nicht spannend ein, Drama entfalten (am liebsten Psychodrama) und in Abgründe blicken lassen. Nein, die allerdunkelsten Winkel des Herzens sind sogar seine Spezialität. So sehr, dass ein bekannter Kritiker von ihm meinte, er lasse seinen Figuren keine Freiheit. Völliger Unsinn, denn wer in seinem Roman, der ihm den Durchbruch brachte, gleich auf den ersten Seiten einen Patriarchen schildert, der mittags zwischen eins und vier seine heilige Stunde des Mittagsschlafes hält und dafür jedes Türknarren im Haus, ja selbst das geräuschvolle Vorbeifahren der Fuhrwerke draußen unter seinem Fenster in Schach hält, wer also für solche Allzu-Menschlichkeiten einen Blick hat, der hat eine Menge Liebe zu wirklich lebendigen Figuren im Leib und in der Feder. Eine Liebe allerdings, die ihm den unbestechlichen Blick eines Chirurgen verleiht. Womit wir beim gesuchten Roman wären.

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Was ist das für ein Buch?

Lange Zeit habe ich einen großen Bogen um ihn gemacht. Schon der Titel regte mich auf. Er ist einer Personengruppe aus dem Neuen Testament entnommen, nicht gerade schmeichelhaft. Damit ist auf die Hauptperson schon vor der ersten Zeile ein literarischer Haftbefehl erlassen, dem sie sich erst in den letzten Kapiteln dank einer ziemlich unerwarteten Wandlung entziehen kann. Es ist der einzige Roman des Autors (und er hat viele verfasst), der Religion zum Thema hat, genauer eine Abart von Religion, die in regelmäßigen Abständen Leichen am Wegrand hinterlässt, in diesem Fall zuerst zwei brave, liebe Hanseln, die an ihre Liebe glauben und wider besseren Rat der Hauptperson heiraten. Am Ende sterben Frau und Kind. Mit der Liebe geht es auch weiter. Als sich die Stieftochter in einen Schwererziehbaren verliebt, weiß die starke Hand unserer selbstgerechten Freundin die Geschichte bald zu beenden – natürlich gelingt ihr das nicht, alles andere wäre ein bisschen zu viel von den Lesern verlangt. Und dann ist da noch ein Priester. Nein, kein Heiliger, das hat der Autor verschiedentlich hervorgehoben, aber doch ein Seelsorger mit einem großen Herzen (fast so groß wie seine Hände), und genau das wird ihm zum Verhängnis. Kurzum, der Titel verheißt eine Generalabrechnung mit der traditionellen Frömmigkeit. Und wenn man dann noch die starke Mischung aus Sexualverdrängung und kämpferischer Rückeroberung der Welt hinzunimmt, ist das Klischee vom vorkonziliaren Katholizismus perfekt. Oder?

Soweit jedenfalls mein Vorurteil. Was also ein Titel nicht alles anrichten kann! Die Lektüre dagegen ist für mehr als eine Überraschung gut. Nicht, dass die Hauptperson nicht wirklich rücksichtslos und selbstbefangen vorginge. Das Drama aber besteht gerade darin: Sie hat in allem recht. Schrecklich recht, so dass der weitere Verlauf der Handlung ihre Menschenkenntnis tragisch bestätigt: Familie gründen ohne materielle Sicherheit, mit 17 seinen Gefühlen die große Entscheidung fürs Leben überlassen, als Priester für Halbwüchsige den Kumpel spielen, um sie zu beeindrucken und als Ehemann die verstorbene Frau vergöttern, die ihn doch betrogen und ein Kind untergeschoben hat – nein, da wäre dringend jemand gefragt, der all diesen Menschen die Augen öffnet. Aber wie das überhaupt möglich ist und wie man sie eher noch mehr in ihre Verirrungen hineintreibt, das ist das Drama unserer Freundin. Fehlt da nicht das „Mitleiden mit unseren Schwachheiten“ (Hebr 4,15)?

Beinahe noch interessanter als ihre Persönlichkeit sind die vielen anderen dramatis personae. Eindrucksvoll besonders die Entwicklung des Ich-Erzählers: Der Stiefsohn der Hauptperson ist in Selbstzweifeln, Zynismus, Verrat und vor allem Eifersucht gefangen – Irrungen und Wirrungen von Pubertät und Adoleszenz. Überhaupt Eifersucht. Sie ist das geheime Hauptthema des Romans und kehrt fast überall wieder, selbst noch auf den Abwegen des Schwererziehbaren, der sich mit einer verheirateten Frau einlässt, genauer: von ihr als Mittel gebraucht wird, um sich am Priester zu rächen. Starker Tobak, nicht wahr?

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Schluss mit dem Blick ins Buch. Nun endlich zu Rätselfrage.

Wie heißt der genannte Priester mit dem großen Herzen?

Zur Beantwortung geben Sie den Namen und einen Satz in eigenen Worten zu dem, was diesen Priester wohl bei seinem Tun antreibt (Hinweise aus einer Zusammenfassung des Romans genügen). Die Antwort bitte senden an:

andreas.wollbold@lmu.de

Einsendeschluss ist Sonntag, 4. Oktober, 24 Uhr. Als Preis winkt eine Sammlung aller Rätsel dieser Homepage in einer fast bibliophilen Druckausgabe.


Kleine und große Hinweise

Um die Rätselfrage nicht zu schwer zu machen, noch einige „Clous“:

  • Wenigstens eines hat der Autor mit dem jetzigen Papst gemeinsam. Dies hat er übrigens im Titel des erwähnten Romans mit dem Freund der dreistündigen Siesta in einer unverkennbaren Anspielung ausgedrückt.
  • A propos Siesta. Die wohl typischste Szenerie bei ihm ist eine drückende Hitze, geschlossene Fensterläden, Erstarrung in Reglosigkeit und eine belastende Atmosphäre im Innern des Hauses, wo die Beziehungen in der Familie bis zum Äußersten gespannt sind. Diese gewisse Vorliebe für heiße Tage hat ihn wohl auch bewogen, die Abgründe der Liebe zwischen Mann und Frau, Vater und Sohn, Seelsorger und verlorenem Sohn und einer Zuneigung zwischen Fürsorge und Leidenschaft in einem anderen Romantitel mit einer Wüste zu vergleichen. Solche Hitzewellen machen also einen skandinavischen Krimi-Düsterling als gesuchten Verfasser eher unwahrscheinlich. Oder doch nicht? Wer weiß, vielleicht gab es damals doch schon einen Klimawandel, und eine Region Schwedens heißt doch noch heute „Vineland“. Also doch wieder alles offen, oder?
  • Jetzt der ganz große Clou. Der Autor erhielt in späteren Jahren den Nobelpreis für Literatur. Damals würdigte man seinen geistlichen Tiefgang und seine Kenntnis des Dramas der menschlichen Seele (waren das noch Zeiten!). Das war 11 Jahre nach dem Erscheinen des gesuchten Buches.
  • Und das waren ganz andere Zeiten. Unser Roman wurde nämlich in einer ganz dunklen Stunde nicht nur für das Heimatland des Autors, sondern für die ganze Welt abgefasst, und zwar in großer Eile.
  • Der Kritiker, der den Romancier als ohne Liebe bloßstellen wollte, hätte vielleicht vor seiner Kritik einmal in den Spiegel schauen sollen. Denn sein vielleicht meistzitiertes Wort hat etwas mit Dante zu tun, allerdings nur ganz oberflächlich bemessen. Denn während der berühmte Florentiner Himmel, Hölle und Fegefeuer einigermaßen paritätisch besiedelt, lässt dieses Wort nur einen von der Hölle ausgenommen. Wen? Man ahnt es schon: sich selbst. Und damit wäre der Kritikaster eigentlich das Musterbeispiel für den, der im Titel des gesuchten Romans gekennzeichnet ist. Was dann wiederum zeigen würde, dass entsprechende Fehlhaltungen keineswegs bloß Unsitten einer falschen Frömmigkeit sind, sondern gerade ohne diese ins Kraut schießen können. Siehe heute. Aber dazu mehr in der Auflösung.

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