Die Beihilfe zu einem vorzeitigen Lebensende gilt heute vielfach als Ausdruck des Respektes vor dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen. So hat es sogar das deutsche Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 vorgegeben: „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen.“ Die deutsche Gesetzeslage ebenso wie die in vielen anderen Ländern hat bereits ein Recht auf Euthanasie konstituiert und entsprechende Vorgehensweisen etabliert oder wird dies in nächster Zukunft tun. Doch wurde mit dem Euphemismus vom „selbstbestimmten Sterben“ nicht ein fataler Irrweg eingeschlagen? Umso mehr tut Klarheit not – Festigkeit in den Grundprinzipien ebenso wie Orientierung für den konkreten Einzelfall, der ja immer von vielen Nöten und Bedrängnissen geprägt ist. Das neuere katholische Lehramt hat sich dazu vor allem an drei Stellen geäußert, dem „Weltkatechismus“, einer Erklärung der Glaubenskongregation und der Enzyklika „Evangelium vitae“ von Johannes Paul II. Die erste eignet sich gut zum Einstieg, weil darin ruhig und klar die Grundorientierung dargeboten wird. Die zweite erschließt diese Orientierung argumentativ, und die dritte stellt sie in den prophetischen Rahmen einer Grundentscheidung zwischen einer „Kultur des Lebens“ mit der liebenden Zuwendung zum Schwachen oder einer „Kultur des Todes“. „Selbstbestimmtes Sterben“ ist eine Illusion und öffnet Tür und Tor zur Manipulation des Menschen gerade in seiner schwächsten Lebensphase. „Vertrauensvolles Sterben“, umgeben von treuer Liebe, verlässlicher Zuwendung und optimaler ärztlich-pflegerischer Hilfe, das ist die christliche und ganz menschliche Alternative.

1. Katechismus der katholischen Kirche (Nrr. 2276-2279)

Zur Euthanasie äußert sich der Katechismus in den Nrr. 2276-2279. Prägnant, einfühlsam und von Nächstenliebe und Zuwendung zu den Schwachen, Kranken und Sterbenden sind die Ausführungen geprägt: „Die Betreuung des Sterbenden ist eine vorbildliche Form selbstloser Nächstenliebe; sie soll aus diesem Grund gefördert werden“ (2279). „Was ihr dem Geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40), das wird zum Anruf an Angehörige, Freunde, Ärzte, Pfleger, Betreuer… und Gesetzgeber. Unverkennbar stehen sie alle im Zentrum der Aufmerksamkeit, während der Katechismus zurückhaltend bleibt mit einem moralischen Urteil über Menschen, die sich in schwerer Krankheit oder aus anderen Gründen nicht mehr weiterleben wollen. Denn Suizid ist das Thema der folgenden Nrr. 2280-2283. Kranke besuchen und ihnen treu beizustehen gehört zu den Werken der Barmherzigkeit, und in allen Jahrhunderten haben sich Christen in der Krankenpflege und in der Begleitung Sterbender ausgezeichnet, gleich ob als Laien oder in Ordensgemeinschaften. Aus dieser Erfahrung sagt der Katechismus:

  • Grundprinzip und Maßstab ist der Beistand für Kranke und Behinderte, „damit sie ein möglichst normales Leben führen können“ (2276).
  • Deren Leben ein Ende zu setzen, also die „direkte Euthanasie“, „ist sittlich unannehmbar“ (2277). Das gilt kategorisch und lässt keine Ausnahmen zu: „Eine Handlung oder eine Unterlassung, die von sich aus oder der Absicht nach den Tod herbeiführt, um dem Schmerz ein Ende zu machen, ist ein Mord, ein schweres Vergehen gegen die Menschenwürde und gegen die Achtung, die man dem lebendigen Gott, dem Schöpfer, schuldet. Das Fehlurteil, dem man gutgläubig zum Opfer fallen kann, ändert die Natur dieser mörderischen Tat nicht, die stets zu verbieten und auszuschließen ist“ (2277).
  • Doch die Medizin hat in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von therapeutischen und insbesondere palliativen Maßnahmen entwickelt, die sittliche Grauzonen bilden. Was ist mit einer Schmerzlinderung, die vorzeitig zum Tod führt? Was ist mit lebensverlängernden Maßnahmen, die mit großem Aufwand und starken Eingriffen erkauft sind? Klug zieht die Kirche an dieser Stelle eine klare Scheidelinie zur Euthanasie: „Die Moral verlangt keine Therapie um jeden Preis. Außerordentliche oder zum erhofften Ergebnis in keinem Verhältnis stehende aufwendige und gefährliche medizinische Verfahren einzustellen, kann berechtigt sein. Man will dadurch den Tod nicht herbeiführen, sondern nimmt nur hin, ihn nicht verhindern zu können. Die Entscheidungen sind vom Patienten selbst zu treffen, falls er dazu fähig und imstande ist, andernfalls von den gesetzlich Bevollmächtigten, wobei stets der vernünftige Wille und die berechtigten Interessen des Patienten zu achten sind“ (2278). Kurzgefasst ist mit diesen Sätzen ausgesprochen, was auch viele Menschen in ihre Patientenverfügungen schreiben.
  • Was aber ist mit einem Abbruch der gewöhnlichen Pflege ohne außergewöhnliche Maßnahmen? „Selbst wenn voraussichtlich der Tod unmittelbar bevorsteht, darf die Pflege, die man für gewöhnlich einem kranken Menschen schuldet, nicht abgebrochen werden. Schmerzlindernde Mittel zu verwenden, um die Leiden des Sterbenden zu erleichtern selbst auf die Gefahr hin, sein Leben abzukürzen, kann sittlich der Menschenwürde entsprechen, falls der Tod weder als Ziel noch als Mittel gewollt, sondern bloß als unvermeidbar vorausgesehen und in Kauf genommen wird“ (2279).

Die Moral verlangt keine Therapie um jeden Preis

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2. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur Euthanasie (5. Mai 1980)

AAS 72 (1980) 542-552; Documenta Nr. 38.

Diese Erklärung war die erste ihrer Art, und sie richtete sich noch hauptsächlich an die Christen: „Die in diesem Dokument vorgelegten Überlegungen richten sich vor allem an jene, die an Christus glauben und auf ihn ihre Hoffnung setzen; denn aus Christi Leben, Tod und Auferstehung haben das Leben und besonders der Tod der Christen eine neue Bedeutung gewonnen, wie der hl. Paulus sagt: ‚Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn‘ (Röm 14,8; vgl. Phil 1,20)“ (Einleitung). Die Glaubenskongregation geht aber noch davon aus, dass auch die meisten Nichtchristen dem Prinzip der Unantastbarkeit des Lebens zustimmen werden. Sie werden „das menschliche Leben als etwas Heiliges betrachten und zugeben, daß niemand darüber nach Willkür verfügen darf“ (I.). Für Christen aber ist das Leben „das Geschenk der Liebe Gottes, das sie bewahren und fruchtbar machen müssen“ (I.). Daraus ergeben sich drei Grundprinzipien:

„1. Niemand kann das Leben eines unschuldigen Menschen angreifen, ohne damit der Liebe Gottes zu ihm zu widersprechen und so ein fundamentales unverlierbares und unveräußerliches Recht zu verletzen, ohne also ein äußerst schweres Verbrechen zu begehen. 2. Jeder Mensch muß sein Leben nach dem Ratschluß Gottes führen. Es ist ihm als ein Gut anvertraut, das schon hier auf Erden Frucht bringen soll, dessen volle und endgültige Vollendung jedoch erst im ewigen Leben zu erwarten ist. 3. Der Freitod oder Selbstmord ist daher ebenso wie der Mord nicht zu rechtfertigen; denn ein solches Tun des Menschen bedeutet die Zurückweisung der Oberherrschaft Gottes und seiner liebenden Vorsehung. Selbstmord ist ferner oft die Verweigerung der Selbstliebe, die Verleugnung des Naturinstinktes zum Leben, eine Flucht vor den Pflichten der Gerechtigkeit und der Liebe, die den Nächsten, den verschiedenen Gemeinschaften oder auch der ganzen menschlichen Gesellschaft geschuldet werden – wenn auch zuweilen, wie alle wissen, seelische Verfassungen zugrunde liegen, welche die Schuldhaftigkeit mindern oder auch ganz aufheben können“ (I.).

Nach diesen Grundprinzipien wendet sich die Erklärung in II. der eigentlichen Euthanasie zu. Sie „wird hier als eine Handlung oder Unterlassung verstanden, die ihrer Natur nach oder aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden. Euthanasie wird also auf der Ebene der Intention wie auch der angewandten Methoden betrachtet“ (II.). Unmittelbar den Tod herbeiführen zu wollen („Intention“) oder Methoden anzuwenden in der Absicht, dass sie den Tod herbeiführen, wird nun kategorisch abgelehnt:

„Es muß erneut mit Nachdruck erklärt werden, daß nichts und niemand je das Recht verleihen kann, ein menschliches Lebewesen unschuldig zu töten, mag es sich um einen Fötus oder einen Embryo, ein Kind, einen Erwachsenen oder Greis, einen unheilbar Kranken oder Sterbenden handeln. Es ist auch niemandem erlaubt, diese todbringende Handlung für sich oder einen anderen zu erbitten, für den er Verantwortung trägt, ja man darf nicht einmal einer solchen Handlung zustimmen, weder explizit noch implizit. Es kann ferner keine Autorität sie rechtmäßig anordnen oder zulassen. Denn es geht dabei um die Verletzung eines göttlichen Gesetzes, um eine Beleidigung der Würde der menschlichen Person, um ein Verbrechen gegen das Leben, um einen Anschlag gegen das Menschengeschlecht.

Es kann vorkommen, daß wegen langanhaltender und fast unerträglicher Schmerzen, aus psychischen oder anderen Gründen jemand meint, er dürfe berechtigterweise den Tod für sich selbst erbitten oder ihn anderen zufügen. Obwohl in solchen Fällen die Schuld des Menschen vermindert sein oder gänzlich fehlen kann, so ändert doch der Irrtum im Urteil, dem das Gewissen vielleicht guten Glaubens unterliegt, nicht die Natur dieses todbringenden Aktes, der in sich selbst immer abzulehnen ist. Man darf auch die flehentlichen Bitten von Schwerkranken, die für sich zuweilen den Tod verlangen, nicht als wirklichen Willen zur Euthanasie verstehen; denn fast immer handelt es sich um angstvolles Rufen nach Hilfe und Liebe. Über die Bemühungen der Ärzte hinaus hat der Kranke Liebe nötig, warme, menschliche und übernatürliche Zuneigung, die alle Nahestehenden, Eltern und Kinder, Ärzte und Pflegepersonen ihm schenken können und sollen“ (II.).

Auf jeden Fall kann eine richtige Abwägung der Mittel nur gelingen, wenn die Art der Therapie, der Grad ihrer Schwierigkeiten und Gefahren, der benötigte Aufwand sowie die Möglichkeiten ihrer Anwendung mit den Resultaten verglichen werden

Abschnitt III. wendet sich nun wieder ausdrücklich den Christen zu und erinnert sie an die tiefe Bedeutung des Schmerzes mit Blick auf das Kreuz, aber auch die Bedeutung schmerzlindernder Maßnahmen. Unmittelbar sittlich relevant ist nun wieder Abschnitt IV.: „Das richtige Maß in der Verwendung therapeutischer Mittel“. Schon 1980 wusste die Kongregation, dass die Fortschritte der Palliativmedizin ethische Grenzbereiche schafft, die letztlich nur im Gewissen und unter Berücksichtigung des Einzelfalls zu entscheiden sind: „In vielen Fällen kann die Situation derart verwickelt sein, daß sich Zweifel ergeben, wie hier die Grundsätze der Sittenlehre anzuwenden sind. Die betreffenden Entscheidungen stehen dem Gewissen des Kranken oder seiner rechtmäßigen Vertreter wie auch der Ärzte zu; dabei sind sowohl die Gebote der Moral wie auch die vielfältigen Aspekte des konkreten Falles vor Augen zu halten“ (IV.). Grundlage ist auf jeden Fall die Ausrichtung auf die eigene Gesundheit bzw. die Hilfe aller Beteiligten dabei: „Jeder ist verpflichtet, für seine Gesundheit zu sorgen und sicherzustellen, daß ihm geholfen wird. Jene aber, denen die Sorge für die Kranken anvertraut ist, müssen ihren Dienst mit aller Sorgfalt verrichten und die Therapien anwenden, die nötig oder nützlich scheinen“ (IV.). Doch muss man alles medizinisch Mögliche auch wirklich anwenden? Sicher nicht! Es geht stets um eine Güterabwägung, und zwar angesichts der Person, ihres Charakters und ihrer Einstellungen, aber auch dem konkreten Stadium der Erkrankung: „Auf jeden Fall kann eine richtige Abwägung der Mittel nur gelingen, wenn die Art der Therapie, der Grad ihrer Schwierigkeiten und Gefahren, der benötigte Aufwand sowie die Möglichkeiten ihrer Anwendung mit den Resultaten verglichen werden, die man unter Berücksichtigung des Zustandes des Kranken sowie seiner körperlichen und seelischen Kräfte erwarten kann“ (IV.). Für eine solche Güterabwägung hat die Kongregation einige sehr hilfreiche Prüfsteine vorgelegt: „Damit diese allgemeinen Grundsätze leichter angewendet werden können, dürften die folgenden Klarstellungen hilfreich sein:

– Sind andere Heilmittel nicht verfügbar, darf man mit Zustimmung des Kranken Mittel anwenden, die der neueste medizinische Fortschritt zur Verfügung gestellt hat, auch wenn sie noch nicht genügend im Experiment erprobt und nicht ungefährlich sind. Der Kranke, der darauf eingeht, kann dadurch sogar ein Beispiel der Hochherzigkeit zum Wohl der Menschheit geben.

– Ebenso darf man die Anwendung dieser Mittel abbrechen, wenn das Ergebnis die auf sie gesetzte Hoffnung nicht rechtfertigt. Bei dieser Entscheidung sind aber der berechtigte Wunsch des Kranken und seiner Angehörigen sowie das Urteil kompetenter Fachärzte zu berücksichtigen. Diese können mehr als andere eine vernünftige Abwägung vornehmen, ob dem Einsatz an Instrumenten und Personal die erwarteten Erfolge entsprechen und ob die angewandte Therapie dem Kranken nicht Schmerzen oder Beschwerden bringt, die in keinem Verhältnis stehen zu den Vorteilen, die sie ihm verschaffen kann.

– Es ist immer erlaubt, sich mit den Mitteln zu begnügen, welche die Medizin allgemein zur Verfügung stellt. Niemand kann daher verpflichtet werden, eine Therapie anzuwenden, die zwar schon im Gebrauch, aber noch mit Risiken versehen oder zu aufwendig ist. Ein Verzicht darauf darf nicht mit Selbstmord gleichgesetzt werden: es handelt sich vielmehr um ein schlichtes Hinnehmen menschlicher Gegebenheiten; oder man möchte einen aufwendigen Einsatz medizinischer Technik vermeiden, dem kein entsprechender zu erhoffender Nutzen gegenübersteht; oder man wünscht, der Familie beziehungsweise der Gemeinschaft keine allzu große Belastung aufzuerlegen.

– Wenn der Tod näher kommt und durch keine Therapie mehr verhindert werden kann, darf man sich im Gewissen entschließen, auf weitere Heilversuche zu verzichten, die nur eine schwache oder schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne daß man jedoch die normalen Hilfen unterläßt, die man in solchen Fällen einem Kranken schuldet. Dann liegt kein Grund vor, daß der Arzt Bedenken haben müßte, als habe er einem Gefährdeten die Hilfe verweigert“ (IV.).

Besonders die letzte Klarstellung hilft in der letzten Lebensphase. Wenn der Tod nahekommt, kann man ihm seinen natürlichen Lauf lassen und muss ihn nicht durch besondere therapeutische Maßnahmen hinausschieben. Lediglich die normalen Hilfen etwa bei der Ernährung oder der Atmung sind weiterhin geboten. Das ist ein ganz menschlicher und zugleich zutiefst christlicher Umgang mit dem Tod: „Wenn einerseits das Leben als Geschenk Gottes anzusehen ist, so ist andererseits der Tod unausweichlich. Darum müssen wir ihn im vollen Bewußtsein unserer Verantwortung und mit aller Würde annehmen können, ohne die Todesstunde in irgendeiner Weise zu beschleunigen“ (Schluss).

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3. Johannes Paul II., Enzyklika „Evangelium vitae“ (Nrr. 64-67) (25. März 1995)

Die Lebensschutzenzyklika von Johannes Paul II. behandelt alle großen Themen des Lebensschutzes von der Abtreibung bis zur Euthanasie. Dieses prophetische Dokument hat vor allem die Öffentlichkeit, die Gesetzgeber und die prägenden Kräfte von Kultur und öffentlicher Meinung im Blick. Dementsprechend drängend, ja bisweilen beschwörend ist der Ton, und eindringlich warnt er vor einer „Kultur des Todes“. Es ist also weniger der einzelne Kranke und Sterbende im Blick, auch nicht primär sein Umfeld, sondern die Gesellschaft in ihrer Gesamtverantwortung. Dadurch erhält die Enzyklika angesichts enormer Umbrüche bei der Gesetzgebung und in der „Normalisierung“ von Euthanasie im medizinischen Alltag bereits vieler Länder eine große Aktualität. In aller Deutlichkeit hält sie die kirchliche Lehre fest, „daß die Euthanasie eine schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu akzeptieren ist. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt“ (65). Man wird aber die kulturkritischen Analysen nicht einfach auf Betroffene übertragen, die sich ja oft in äußerster Not befinden. Nur so sind etwa die einleitenden Worte zu verstehen:

„[…] wenn die Neigung vorherrscht, das Leben nur in dem Maße zu schätzen, wie es Vergnügen und Wohlbefinden mit sich bringt, erscheint das Leiden als eine unerträgliche Niederlage, von der man sich um jeden Preis befreien muß. Der Tod, der als ‚absurd‘ angesehen wird, wenn er ein Leben plötzlich unterbricht, das noch für eine an möglichen interessanten Erfahrungen reiche Zukunft offen ist, wird dagegen dann zu einer ‚beanspruchten Befreiung‘, wenn das Dasein bereits für sinnlos gehalten wird, weil es in Schmerz getaucht und unerbittlich für weiteres noch heftigeres Leiden bestimmt ist. Außerdem glaubt der Mensch, der seine wesentliche Beziehung zu Gott ablehnt oder vergibt, er sei sich selber Maßstab und Norm, und maßt sich das Recht an, auch von der Gesellschaft zu verlangen, sie solle ihm Möglichkeiten und Formen garantieren, damit er in voller und vollständiger Autonomie über sein Leben entscheiden könne“ (64).

Der Papst hat volles Verständnis dafür, dass die Übermacht einer „Apparatemedizin“ angelehnt wird, wie sie sich heute in vielen Patientenverfügungen wiederfindet. Doch er stellt auch einen Kurzschluss heraus, nämlich die direkte Herbeiführung des Todes:

„In einem solchen Umfeld zeigt sich immer stärker die Versuchung zur Euthanasie, das heißt, sich zum Herrn über den Tod zu machen, indem man ihn vorzeitig herbeiführt und so dem eigenen oder dem Leben anderer ‚auf sanfte Weise‘ ein Ende bereitet. In Wirklichkeit stellt sich, was als logisch und menschlich erscheinen könnte, wenn man es zutiefst betrachtet, als absurd und unmenschlich heraus. Wir stehen hier vor einem der alarmierendsten Symptome der ‚Kultur des Todes‘, die vor allem in den Wohlstandsgesellschaften um sich greift, die von einem Leistungsdenken gekennzeichnet sind, das die wachsende Zahl alter und geschwächter Menschen als zu belastend und unerträglich erscheinen läßt. Sie werden sehr oft von der Familie und von der Gesellschaft isoliert, deren Organisation fast ausschließlich auf Kriterien der Produktion und Leistungsfähigkeit beruht, wonach ein hoffnungslos arbeitsunfähiges Leben keinen Wert mehr hat“ (64).

Angesichts dieser prophetischen Mahnworte sind aber die nachfolgenden Unterscheidungen umso wichtiger. Denn abgelehnt wird nur die „Euthanasie im eigentlichen Sinn“, also „eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu beenden. […] Von ihr zu unterscheiden ist die Entscheidung, auf ‚therapeutischen Übereifer‘ zu verzichten, das heißt auf bestimmte ärztliche Eingriffe, die der tatsächlichen Situation des Kranken nicht mehr angemessen sind, weil sie in keinem Verhältnis zu den erhofften Ergebnissen stehen, oder auch, weil sie für ihn und seine Familie zu beschwerlich sind. In diesen Situationen, wenn sich der Tod drohend und unvermeidlich ankündigt, kann man aus Gewissensgründen ‚auf (weitere) Heilversuche verzichten, die nur eine ungewisse und schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne daß man jedoch die normalen Bemühungen unterläßt, die in ähnlichen Fällen dem Kranken geschuldet werden‘.  Sicherlich besteht die moralische Verpflichtung sich pflegen und behandeln zu lassen, aber diese Verpflichtung muß an den konkreten Situationen gemessen werden; das heißt, es gilt abzuschätzen, ob die zur Verfügung stehenden therapeutischen Maßnahmen objektiv in einem angemessenen Verhältnis zur Aussicht auf Besserung stehen. Der Verzicht auf außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Heilmittel ist nicht gleichzusetzen mit Selbstmord oder Euthanasie; er ist vielmehr Ausdruck dafür, daß die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird“ (65). Eine klare Unterscheidung also, die jenseits der normalen pflegerischen Maßnahmen weiten Raum für ein Nein zu bestimmten therapeutischen Maßnahmen lässt. Diese Grundhaltung bewährt sich auch angesichts palliativmedizinischer Möglichkeiten:

„Besondere Bedeutung gewinnen in der modernen Medizin die sogenannten ‚palliativen Behandlungsweisen‘, die das Leiden im Endstadium der Krankheit erträglicher machen und gleichzeitig für den Patienten eine angemessene menschliche Begleitung gewährleisten sollen. In diesem Zusammenhang erhebt sich unter anderem das Problem, inwieweit die Anwendung der verschiedenen Schmerzlinderungs- und Beruhigungsmittel, um den Kranken vom Schmerz zu befreien, erlaubt ist, wenn das die Gefahr einer Verkürzung des Lebens mit sich bringt. Auch wenn jemand, der das Leiden aus freien Stücken annimmt, indem er auf schmerzlindernde Maßnahmen verzichtet, um seine volle Geistesklarheit zu bewahren und, wenn er gläubig ist, bewußt am Leiden des Herrn teilzuhaben, in der Tat des Lobes würdig ist, so kann diese ‚heroische‘ Haltung doch nicht als für alle verpflichtend angenommen werden. […] Denn in diesem Fall wird der Tod nicht gewollt oder gesucht, auch wenn aus berechtigten Gründen die Gefahr dazu gegeben ist: man will einfach durch Anwendung der von der Medizin zur Verfügung gestellten Analgetika den Schmerz wirksam lindern. Doch ‚darf man den Sterbenden nicht ohne schwerwiegenden Grund seiner Bewußtseinsklarheit berauben‘ die Menschen sollen vor dem herannahenden Tod in der Lage sein, ihren moralischen und familiären Verpflichtungen nachkommen zu können, und sich vor allem mit vollem Bewußtsein auf die endgültige Begegnung mit Gott vorbereiten können“ (65).

… die flehentliche Bitte um Hilfe, um weiter hoffen zu können, wenn alle menschlichen Hoffnungen zerrinnen

Diese Überlegungen sind vor allem für unmittelbar Betroffene, ihre Angehörigen und ihre Ärzte und Pfleger von größter Wichtigkeit. Die Nrr. 66 bis 68 werden nun wieder grundsätzlich: Direkte Euthanasie ist Suizid, auch wenn die persönliche Schuldhaftigkeit sich unterschiedlich darstellen kann: „Obwohl bestimmte psychologische, kulturelle und soziale Gegebenheiten einen Menschen dazu bringen können, eine Tat zu begehen, die der natürlichen Neigung eines jeden zum Leben so radikal widerspricht, und dadurch die subjektive Verantwortlichkeit vermindert oder aufgehoben sein mag, ist der Selbstmord aus objektiver Sicht eine schwer unsittliche Tat, weil er verbunden ist mit der Absage an die Eigenliebe und mit der Ausschlagung der Verpflichtungen zu Gerechtigkeit und Liebe gegenüber dem Nächsten, gegenüber den verschiedenen Gemeinschaften, denen der Betreffende angehört, und gegenüber der Gesellschaft als ganzer. In seinem tiefsten Kern stellt der Selbstmord eine Zurückweisung der absoluten Souveränität Gottes über Leben und Tod dar, wie sie im Gebet des alten Weisen Israels verkündet wird: ‚Du hast Gewalt über Leben und Tod; du führst zu den Toren der Unterwelt hinab und wieder herauf‘ (Weish 16, 13; vgl. Tob 13, 2)“ (66). Entscheidend für die heutigen Diskussionen um die Sterbehilfe ist nun die Schlussfolgerung, dass aus diesen Gründen auch jede Form der Beihilfe dazu, die „niemals, auch nicht, wenn darum gebeten worden sein sollte, gerechtfertigt werden kann. […] Auch wenn sie nicht durch die egoistische Weigerung motiviert ist, sich mit der Existenz des leidenden Menschen zu belasten, muß die Euthanasie als falsches Mitleid, ja als eine bedenkliche »Perversion« desselben bezeichnet werden: denn echtes ‚Mitleid‘ solidarisiert sich mit dem Schmerz des anderen, tötet nicht den, dessen Leiden unerträglich ist. Die Tat der Euthanasie erscheint um so perverser, wenn sie von denen ausgeführt wird, die — wie die Angehörigen — ihrem Verwandten mit Geduld und Liebe beistehen sollten, oder von denen, die — wie die Ärzte — auf Grund ihres besonderen Berufes den Kranken auch im leidvollsten Zustand seines zu Ende gehenden Lebens behandeln müßten“ (66). Noch heftiger zu verwerfen ist es aber, wenn einem Menschen der Tod gegeben wird, „der sie keineswegs darum gebeten und niemals seine Zustimmung dazu gegeben hat. Der Höhepunkt der Willkür und des Unrechts wird dann erreicht, wenn sich einige Ärzte oder Gesetzgeber die Macht anmaßen darüber zu entscheiden, wer leben und wer sterben darf“ (66).

Bleibt also nur das Verbot? Nein, aus reicher Erfahrung im Umgang mit Kranken, Leidenden und Sterbenden weiß der Papst: Ihre Bitte um einen vorzeitigen Tod ist zutiefst das Flehen um Beistand und Hilfe: „Ganz anders hingegen ist der Weg der Liebe und des echten Mitleids, den unser gemeinsames Menschsein vorschreibt und den der Glaube an Christus, den Erlöser, der gestorben und auferstanden ist, mit neuen Einsichten erhellt. Die Bitte, die bei der äußersten Konfrontation mit dem Leid und dem Tod besonders dann aus dem Herzen des Menschen kommt, wenn er versucht ist, sich in seine Verzweiflung zurückzuziehen und in ihr unterzugehen, ist vor allem Bitte um Begleitung, um Solidarität und um Beistand in der Prüfung. Sie ist flehentliche Bitte um Hilfe, um weiter hoffen zu können, wenn alle menschlichen Hoffnungen zerrinnen“ (67).

Bild: M. Schulze

Ein Gedanke zu „Sterbehilfe und Lehramt

  1. Wunderbar klar herausgearbeitet, bis wohin christliche Nächstenliebe gehen darf und soll – und wo ein „full stop“ angebracht ist. Euthanasie ist und bleibt (Selbst-) Mord, letztendlich Ausdruck der grundsätzlichen Ablehnung von Gottes Wille, Liebe und des uns von Gott anvertrauten Lebens (das ja immer auch Aufgabe ist, bis zuletzt). In der weitergehenden differenzierten Ausgestaltung des eigentlichen Umgangs im Einzelfall (inakzeptable gezielte Herbeiführung des Todes, versus nach Abwägung ggfs. demütig hinzunehmender Inkaufnahme des Unvermeidlichen) bricht sich zudem das Verständnis einer tiefen und wirklichen Menschlichkeit Raum.
    Ein m.E. wichtiger Beitrag zur Orientierung in einer verwirrten und irregeleiteten Zeit der Gottesanmaßung.

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