My name is Jeeves

Arbeit ist das halbe Leben, aber wie füllt man die andere Hälfte aus? „Rekreation“ nennen das die Mönche, also „Wieder-Erschaffung“ des ganzen Menschen. Das gefällt mir besser als „Fun“, „Ablenkung“, „Spaß“, „Unterhaltung“ oder „Zerstreuung“, denn da kommen meistens nur die Sinnlichkeit oder die niederen Instinkte auf ihre Kosten. Doch der Geist? Witz und Freude am geistreichen Hin und Her? Oh ja, das gibt es, und dazu ein paar selbst erprobte Empfehlungen. Damit also niemand aus purer Langeweile den Abend im Suff zu Ende bringt, hier die ersten Tipps aus England (wenn’s geht natürlich originalsprachlich). Übrigens, ganz zufällig (?) sind sie alle Literaturverfilmungen – und was für einen herrlichen Lesestoff bieten sie alle (die meisten auch hervorragend gelesen als Hörbuch).

PS: Kaufempfehlungen und Links gebe ich keine. Wer’s bis zu dieser Seite geschaft hat, wird schon selber darauf kommen, wo er die DVD’s herbekommt.

PPS: Ist es ein Zufall? Alle englischsprachigen Filme haben eine literarische Vorlage. So kommt es wieder einmal zum edlen Wettstreit: Was ist besser, Film oder Buch? Die Filme sind wirklich sehenswert, und die Bücher… da kann es abends einmal richtig spät werden! Also gleich doppelte Empfehlung. Zur Lektüre:

  • P. G. Wodehouse (1881-1975), ein britisch-amerikanischer Autor, übrigens mütterlicherseits mit dem seligen Kardinal John Henry Newman verwandt, seinem Großonkel, bis heute einer der glanzvollsten Humoristen englischer Zunge, ein Wilhelm Busch, nur eben kein solcher schopenhauerischer Pessimist und Wadenbeißer, sondern voll Ironie, Wortwitz und mit unerschöpflicher Freude am Menschlich-Allzumenschlichen seiner Figuren. Im Internierungslager der Deutschen im Zweiten weltkrieg kam er übrigens nach Oberschlesien – und durfte auf ausdrücklichen Geheiß des Kommandanten weiterschrieben, denn er war ein großer Fan von ihm! Das ganze Werk umfasst viele Bände, darunter seit 1923 die gut ein Dutzend Jeeves-und-Bertie-Wooster-Romane.
  • Agatha Christie (1890-1976) braucht nun wirklich keinerlei Empfehlung. Die „Queen of crime“ ist und bleibt einfach die Krimiautorin. Jeder kennt ihre Stars, den belgischen Detektiv Hercule Poirot und Miss Marple St. Mary Mead, und kennen sollte man auch die etwas wniger bekannten Tommy und Tuppence Beresford. Nicht zu vergessen eines ihrer besten Bücher, nämlich ihre überaus lebendige Autobiographie (An Autobiography, dt.: Meine gute alte Zeit: Die Autobiographie einer Lady). Sie entführt wirklich in einer ganz andere Zeit, als es kaum der Rede wert war, dass eine englische Familie aus Kostengründen in Südfrankreich lebte oder man eine Zeit in Ägypten oder Syrien verbrachte.
  • Michael Bond (1926-2017) fing 1958 an, die ersten Paddington-Geschichten zu schreiben. Bis 2014 folgten 24 weitere kurze Bände. Bond hat’s einfach raus: Für Kinder zu schreiben, so dass Erwachsene zuhören und wie die Kinder werden. Und ganz aktuell: Der Bär aus „darkest Peru“ ist ein Bootsflüchtling, aber in London strengt er sich vorbildlich an, ein echter Gentleman zu sein – und ist dabei gegenüber allen Engländern mehr als eine Bärennase voraus!

Jeeves and Wooster

Jeeves and Wooster schaut man sich am besten gleich einmal mit der Eröffnungsepisode (s.u.) der vier großen Staffeln aus den 90er Jahren an (jede der 23 Folgen ist 50 Minuten lang). Es ist eine nach den umwerfend komischen Erzählungen von P. G. Wodehouse aufwändig gemachte 20-er Jahre Serie mit dem jungen Adeligen Bertie Wooster (Hugh Laurie), der auf unvergleichlich charmante Art und Weise dem dolce farniente frönt und durch seine Gutherzigkeit in immer neue Verwicklungen gerät (meistens wird er mit seiner Albtraumfrau verlobt), und seinem Diener Jeeves (Stephen Fry), dem unübertroffenen Inbild eines britisch-formvollendeten Butlers. Ein Teil spielt in London (Höhepunkt der unendlich dekante „Drones-Club“, wo Semmeln als Wurfgeschosse dienen), ein Teil auf Schlössern des Landadels und einige Folgen in New York. Auch die Nebenrollen sind echte Persönlichkeiten, die man nicht vergisst (besondere Empfehlung: Wer manchmal noch in der Versuchung ist, vom „schwachen Geschlecht“ zu reden, muss Lady Honoria etwa in der ersten Folge hier unten gesehen haben; aber sie ist nicht die einzige, ganz zu schweigen von den allmächtigen Tanten.) Bei dieser Serie stimmt einfach alles: das elegante Ambiente, fast ausnahmslos ausgezeichnete Besetzung, verrückte Verwicklungen und noch verrücktere Lösungen von Jeeves, herrliche Charaktere (meine Favoriten: Gussie Fink-Nottle, der Krötenliebhaber, Tuppy Glossop, der Unternehmungslustige, Madeline Basset mit ihrem einnehmend-romantische Wesen und Sir Roderick Spode, der verhinderte Diktator), schwungvolle Musik und ein Humor, bei dem alle am Ende doch noch irgendwie liebenswert erscheinen. – Wenn’s irgendwie geht, sollte man das Ganze englisch anschauen, allein schon wegen des herrlich gestelzten „A gentleman’s personal gentleman“-Englisch von Jeeves: „I endeavor to give satisfaction.“ – Der nachstehende Link zur allerersten Episode fängt schrecklich an, aber bei Minute 4:40 steht die Rettung in der Wohnungstür, und von da an kann alles nur noch gut enden!

 

Poirot

Poirot – gleiche Zeit, ebenso formvollendet, nur hier eben mit dem angenehm exzentrischen belgischen (bitte, auf keinen all französischen!) Star-Detektiv der Agatha Christie (David Suchet) und (wenigstens in den meisten Folgen) dem dafür umso britischeren Colonel Hastings (Hugh Fraser).

 

Miss Marple

Wir bleiben bei Agatha Christie und gehen zum ebenbürtigen, aber so ganz anderen Pendant Poirots, zu Miss Marple, eingeschworenem „Landei“ aus dem Örtchen St. Mary Mead und einem einzigen Loblied auf Weisheit, Lebenserfahrung, Geist und Einfühlungsvermögen älterer Damen. Deutsche Fernsehzuschauer denken bei Miss Marple wahrscheinlich eher an die unnachahmliche Margaret Rutherford mit ihrem elastischen Kinn und viel Mutterwitz (etwa in „16.50 Uhr ab Paddington“, „Mörder Ahoi“ oder „Der Wachsblumenstrauß“). Umwerfend komisch und unbedingt empfehlenswert. Aber eine Miss Marple wie aus den 12 Originalromanen und 30 Kurzgeschichten ist sie nicht gerade. Und deshalb die Empfehlung: Joan Hickson als Miss Marple in „Agatha Christie’s Miss Marple„, von der BBC ab 1984 in 12 Teilen sehr dicht am Original produziert. Ich gestehe, an dieser Ermittlerin kann ich mich nicht satt sehen: äußerst bescheiden (und damit wirklich das Gegenteil von Hercule Poirot), geradezu viktorianisch ordentlich (und darum auch der Kirche verbunden und mit klaren moralischen Grundsätzen), zu jeder Form von unschuldigem gossip stets bereit und so unendlich erfahren in den Abgründen des menschlichen Herzens, dass man wirklich einmal eine Miss Marple-Theologie schreiben müsste.

Agatha Christie’s Partners in Crime (Tommy and Tuppence Beresford)

Aller guten Dinge sind drei, auch beim Verbrechen und seiner Aufklärung. Viel weniger bekannt als Poirot und Miss Marple, aber allein schon wegen der unerschöpflichen Fülle an Hüten von der charmanten Tuppence, wegen Witz und rasanter Entwicklung und aufgrund von viel 20er Jahre-Charme sehenswert sind die zwei Detektive Tommy und Tuppence Beresford ( James Warwick und Francesca Annis; ITV 1983-84 in 12 Folgen). Eine Entdeckung wert!

Yes, Minister

So, jetzt aber mal etwas ganz anderes. (Aber nicht Schluss mit lustig.) Wer denkt, Politik ist auch nicht mehr das, was sie einmal war, hier der Gegenbeweis aus U.K., Yes, Minister, die ultimative Polit-Satire der BBC von 1980-1988 mit 38 30-minütigen Episoden (Nachfolger: Yes, Prime Minister). Der ewige Kampf zwischen dem Idealisten und frisch gewählten Minister Paul Hacker (Paul Eddington) und seinem abgebrühten Staatssekretär Sir Humphrey Appleby (Nigel Hawthorne), der immer nur die eigene Bürokratie bedienen will,  geht so ziemlich alles durch, was politisch brisant ist, von Sozialpolitik, Streiks und Gesundheitssystem bis zu… natürlich: der EU! Das Ganze ist ein Kammerspiel im Büro Hackers, ganz Wortwitz (man kommt hinein, deshalb einmal mehr: Wenn’s geht auf Englisch!) und überraschende Finte, und am Ende gewinnt der eine (selten) oder der andere (häufiger) oder auch mal beide zusammen gegen den Rest der Welt. Zynisch und doch nicht Politik zum Abgewöhnen – wer anderes könnte so etwas auf die Beine bringen als… die Briten! (Ein Norweger brachte mich auf diese Serie, und Norweger sind doch die Seriosität in Person, nicht wahr?) – Hier die Episode, mit der alles anfing.

Paddington

Oh, herrlich. Herzerweichend. Funny. Wer da nicht wird wie die Kinder… Der kleine Brillenbär aus „darkest Peru“ und blinder Passagier auf dem Ozeandampfer wird in London, Paddington Station, von Familie Brown aufgefunden. Nun mischt er in aller Unschuld Familie, Nachbarn, U-Bahn-Fahrer, Verkäufer und alle ringsum mächtig auf – gerade weil er so ganz britisch ist: ein echter gentleman, der im entscheidenden Moment aber auch ganz streng schauen kann: „a very hard stare“. Aber keine Angst, Mr. Gruber, der Deutsche mit dem schrecklichen Akzent, kommt bestens weg, allein schon weil Paddington bei ihm gerne seine „Elevenses“ nimmt. – Paddington empfehle ich hier aber nicht im schönen neuen Film, sondern in der unübertroffenen BBC-Fernsehversion von 1975ff. mit den 5-Minuten-Folgen zum Entspannen nach den Kurzgeschichten von Michael Bond, „A Bear called Paddington“. Das war so eine Art britisches „Sandmännchen“. Die Originalgeschichten sind natürlich alle mehr als lesenswert! „Please Look After This Bear“, dieser Bitte auf dem Zettel in der Hand des Einwanderers muss man einfach entsprechen!

Please Look After This Bear

Statue im Bahnhof Paddington (2011; Autor: Chris McKenna)