Corona hält uns im Bann. Langer Atem ist erforderlich. Um nicht ganz von der Situation beherrscht zu werden, gibt es viele Gegenmittel. Eines davon ist der Blick in die Geschichte. Zu einem solchen Befreiungsschlag in andere Zeiten möchte auch das Weihnachtsrätsel 2020 einladen, und zwar in eine richtige Ferne, also nicht ins 21. Jahrhundert und auch nicht ins 20. Jahrhundert. Dabei schlägt es eine richtige Schocktherapie vor, natürlich nur durch einen gedanklichen Ausflug in eine Epoche, da eine Seuche in unvorstellbarer Heftigkeit Jung und Alt in vielen Ländern hinwegraffte und ihre Wellen ein halbes Jahrhundert umfassten. Da mussten die Menschen doch verrückt werden, oder? Krisen bringen an den Tag, was im Menschen steckt, und das ist leider nicht nur reine Menschlichkeit und Güte, damals wie heute. Damals gab es also auch die Flucht der Reichen in ihr scheinbar sicheres Elysium (ein Klassiker der Weltliteratur mit allerdings ziemlich laxer Moral zeugt davon), das Im-Stich-Lassen der Alten und Kranken, die Rückkehr des Heidentums und den Ausbruch von fanatischen Formen der Religiosität. Verzweiflung kam auf ebenso wie hemmungsloses Genießen des Augenblicks und natürlich viel Misstrauen gegenüber dem Nächsten. Statt „Liebe Deinen Nächsten!“ galt vielfach „Fürchte Deinen Nächsten und halte ihn Dir vom Leibe!“

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Wenn Krisen Durchschnittstypen groß machen

Wenn da nicht wirklich große Gestalten gewesen wären, echte Felsen in der Brandung. Einer von ihnen ist im Weihnachtsrätsel gesucht. Der geborene Held war er sicher nicht. In seiner Zeit verlieh man den Titel eines Helden ohnehin auch noch nicht so inflationär wie das inzwischen üblich geworden ist. Dass er von Charakter und Lebensführung her von felsenfesten Prinzipien geleitet war, lässt sich auch wirklich nicht sagen, auch wenn er von Amts wegen eigentlich der geborene Fels gewesen wäre. Darum hat übrigens ein anderer Großer der Weltliteratur vernichtend über seine Amtsführung geurteilt. Und doch, es kam die Krise, und unser Mann wuchs über sich selbst hinaus und bewies eine Seuchen-Strategie, von der man sich noch heute mehr als eine Scheibe abschneiden könnte. An einer Krise zu wachsen und alle Mittelmäßigkeit hinter sich zu lassen, das wäre auch tatsächlich die weihnachtliche Botschaft, die von der gesuchten Gestalt ausgeht.

Aber nun zur Sache. Sie fing schon schlecht an. Aufgrund von politischem Chaos in Italien (lang, lang ist‘s her, oder?) musste er sich mit einem alternativen Amtssitz begnügen. Von einer ebenso unglücklichen wie entschlossenen Königin konnte er allerdings die zugehörige Stadt kurzerhand zu eigen erwerben. Kaum ist das geschehen, klopft die Seuche an die Stadttore, ja sie überrennt sie einfach. Von Januar bis zum Höhepunkt der ersten Welle an den drei Tagen nach dem Fastensonntag „Laetare“ sind bereits 1412 Bürger gestorben. Die Mortalität unter seinen unmittelbaren Mitarbeitern lag bei 30 % und erreichte auch seine nächsten Mitarbeiter. Am Ende des Jahres war ein Drittel seines Stabes verstorben.

Was tut er? Er flieht nicht, sondern hält stand und stellt sich der Situation mit Entschlossenheit, kühler Überlegung und einer geradezu modernen Effektivität. Er vertraut nicht auf den Edelstein, den er im Ring am Finger trägt und von dem arabische Ärzte behaupteten, in welche Richtung man ihn drehe, von dieser Seite her könne er nicht infiziert werden. Stattdessen folgt er dem nüchternen Rat seines Arztes, den ich persönlich für den Medizin-Nobelpreis vorschlagen würde. Der meinte nämlich, er solle seine Kontakte auf zwei Personen in häuslicher Gemeinschaft einschränken, die zugleich durch Feuer und Rauch die Umgebung keimfrei halten sollten. Noch wichtiger als die persönliche Selbstsorge war die Fürsorge für die Stadt und weit darüber hinaus. Dafür entwickelt er etwas, was man heute einen 5-Punkte-Plan nennen würde.

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Ein 5-Punkte-Plan gegen die Seuche

  1. Zuerst und zuoberst die Sorge für die Seelen, der Kampf gegen Verzweiflung und Verrohung. Gegenüber seinen Leuten ist er da streng und unerbittlich: Pflicht ist Pflicht, und Seelsorger haben sich jetzt unermüdlich um die Seelen zu kümmern, die Kranken zu besuchen, ihnen die notwendige Pflege, Unterstützung und Rat zukommen zu lassen und die Sterbenden nicht im Stich zu lassen. Denjenigen, die ihre Angst überwinden und die Kranken pflegen, verspricht er einen Lohn ganz besondere Art und von weit größerem Wert als eine Gehaltserhöhung. Um den vielen, die dennoch ganz alleine sterben müssen, wenigstens eine Hoffnung zu geben, segnet er das Wasser eines ganzen Stromes. Wenn dann die Leichen ins Wasser entsorgt würden, erhielten sie dadurch wenigstens ein Minimum an letztem Segen. Schließlich bereichert er die Liturgie um ein neues Messformular und zelebriert es täglich auch selbst.
  2. Präventiv und kurativ sorgt er für medizinische Versorgung und erweist sich gerade darin als seiner Zeit weit voraus. Er errichtet direkt am Fluss und abseits der Stadt eine große Pflegestation mit Einbettzimmern (etwas, was offensichtlich selbst unsere Zeit noch nicht fertigbringt!). Diese Zimmer sind eher Hütten, die man nach Gebrauch einfach niederbrennen und so desinfizieren kann. Er erlaubt auch den Fachleuten die Sektion von Seuchentoten, um dem Erreger auf die Spur zu kommen.
  3. Seuche bringt Armut mit, und sie trifft die Armen am härtesten. Darum bezahlt er selbst Ärzte und Pfleger zur kostenlosen Versorgung von mittellosen Kranken. Außerdem organisiert er die tägliche Verteilung von Mahlzeiten, Kleidung und Medikamenten. Die Zahl der täglich ausgeteilten Brote erhöht er von 9.500 auf 32.000.
  4. Seuche nährt Sündenbock-Strategien, sie steigert das Misstrauen oft ins Unermessliche. Besonders eine Gruppe trifft es besonders hart, die als Geldverleiher oder auch als Ärzte und Apotheker besonders leicht in Verdacht geraten. Unser Mann stellt sich schützend vor diese Leute und verweigert einer Bewegung von religiösen Fanatikern kurzerhand den Zugang zur Stadt.
  5. Als die Seuche sich Gott sei Dank ihrem Ende nähert (allerdings leider nur vorübergehend, wie sich einige Jahre später herausstellt), ordnet er eine großflächige Zählung der Verluste an – die Zahl ist schrecklich hoch. Doch noch wichtiger ist ihm, sich wieder Gott und dem Guten zuzuwenden. Darum lässt er zwei Jahre später ein großes, weltweit begangenes Jubiläum feiern. Pragmatischer Seelsorger, der er ist, schafft er aber auch Teilnahmemöglichkeiten für Interessierte aus England, die wegen eines Krieges nicht persönlich teilnehmen können. Ersatzformen für die Präsenz also, und das noch ohne Internet! Ebenso pragmatisch eröffnet er noch ganz jungen Kräften den Weg in Führungspositionen, bei denen durch die Pandemie gewaltige Lücken gerissen wurden.
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Das Rätsel

Wer also war dieser verantwortlich Denkende und Handelnde? Dass ich ihn eingangs bis vor der Seuche als eher zweifelhafte Gestalt gezeichnet habe, war vielleicht mehr der Spannung des Rätsels geschuldet. Denn von Haus aus und bis in den Namen hinein war er ein grundgütiger Mensch, nebenbei auch ein ausgezeichneter Prediger, gleichzeitig ein von der Würde seines Amtes so sehr Überzeugter, dass er dies auch in einer manchmal doch etwas übertriebenen Prachtentfaltung dokumentierte. Auch war er seiner Familie ein bisschen arg zugetan, insbesondere den „Neffen“, die dann auch ein entsprechendes Fremdwort für ein solches Verhalten geprägt haben. Dass er hauptsächlich diplomatisch wirkte, lag nicht an seiner fehlenden Begabung für Anderes. Nein, er war eigentlich ein professioneller und erfolgreicher Professor. Und ein Professe war er, nämlich in einem bedeutenden Benediktinerkloster, in dem er denn auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat. So, dämmert die Zeit, die Seuche und der Name des Gesuchten allmählich? Das sei allen Rätselern herzlich gewünscht. Lösungen bitte an: andreas.wollbold@lmu.de

Einsendeschluss ist der 6. Januar 2021 um 24 Uhr. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Als Gewinn wird zweimal ein Exemplar meines neu erschienenen Buches zur Sakramentenpastoral ausgelost.

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