Ratschläge für eine volle Sonntagsmesse (1)

„In Sankt N. musst du mindestens eine Viertelstunde früher dasein, sonst bekommst du nur noch einen Stehplatz.“ Das gibt‘s doch gar nicht! Wo man sonntags auch zur Messe hingeht, es gibt ja doch überall mehr freie als besetzte Plätze!? Das muss nicht sein. Abhilfe lässt sich schaffen. Wie? Sicher nicht durch Programme wie „Kundenorientierung“ und „Qualitätssicherung im Gottesdienst“, auch nicht durch Verlockungen wie Wasserbett statt Holzbank, erst recht nicht durch „Everybody‘s darling…“-Spielen. Aber eben auch nicht durch ein „Weiter so“!

Heiliges Tun an heiligem Ort

Denn wir haben etwas falsch gemacht mit der Feier unserer Gottesdienste. Sie sind kein heiliges Tun an heiligem Ort mehr. Das würde sie einzigartig machen. Wem das vor Augen steht, der begreift auch das Wort des hl. Benedikt: „Dem Gottesdienst darf nichts vorgezogen werden.“ Also immer zuerst Sonntagsmesse und dann erst Familienbrunch, Fahrradtour oder Fernsehprogramm. Was haben wir da falsch gemacht? Haben wir die Eucharistiefeier nicht attraktiv machen wollen? Damit meine ich gar nicht mal „Sperenzchen“ und fragwürdige Ideen im Gottesdienst, sondern die ganz seriöse liturgische Gestaltung.Doch attraktiv machen, liegt darin nicht schon das Problem? Da bitte ich einfach einmal, über die eigene Vorstellung von dieser Gestaltung nachzudenken: Soll sie durch gut gesetzte Zeichen und treffend gewählte Worte Wirkungen erzielen? Etwa wie man eine bestimmte CD einlegt, um in eine Stimmung zu versetzen? Doch dann bleibt es Tun von Menschen für Menschen, und damit steht es immer im Wettbewerb mit tausend attraktiveren Angeboten. Heiliges Tun an heiligem Ort ruft dagegen allen Teilnehmern zu: „Augen auf, hier wohnt Gott, und sein machtvoller Arm wirkt nun Großes.“ Dann wollen nicht Menschen im Gottesdienst Wirkungen erzielen, sondern sich seinem Wesen entsprechend verhalten.
Hier soll es aber nicht hochtheologisch zugehen, sondern handfest und praktisch. Wie verhält man sich bei heiligem Tun an heiligem Ort? An dieser Stelle soll es dabei um das äußere Verhalten gehen. Aus langjähriger Erfahrung möchte ich einige Ratschläge geben, die überall ohne großen Aufwand und Grundsatzdiskussionen möglich sind. Natürlich ist das Äußere nicht alles, es ruft nach dem „Erhebet die Herzen!“, nach Sammlung, Gebet, Liebe und Sehnsucht. Das wäre mehr als einen eigenen Blog wert. Aber weil wir Menschen einen Leib haben, wächst – anders als man denkt – vieles vom Leiblichen zum Geistigen, vom Äußeren nach innen.

Heiliges Tun an heiligem Ort – was ist das denn? Heilig heißen Räume und Zeiten, die ausschließlich Gott gehören. Da ist der Mensch nicht Krone der Schöpfung wie im profanen Alltag, sondern er tritt ganz zurück, um in die Sphäre Gottes einzutreten. Wie Mose am brennende Dornbusch zu hören bekam: „Zieh deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3,5). Ganz ähnlich bei Josua: „Zieh deinen Schuh aus von deinem Fuß; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heilig! Und Josua tat so“ (Jos 5,15). Da geht es einem wie dem Patriarchen Jakob: „Wirklich, der Herr ist an diesem Ort und ich wusste es nicht. […] Quam terribilis locus iste. – Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und die Pforte des Himmels“ (Gen 28,16f.). Wichtig ist die Unterscheidung: Es geht nicht bloß um Wirkungen, um etwas Subjektives, also um eine heilige Stimmung, religiöse Gefühle, Ergriffenheit, starke Wirkung. Es geht um ein Verhalten, das dem Wesen, der objektiven Wirklichkeit einzig angemessen ist: Wirklich, dieser Ort, diese Zeit gehören ganz Gott. Also nicht Wirkung, sondern Wirklichkeit Gottes.

Radierung nach einer Komposition von Ferdinand Stainer (Albertina Wien)

Zwei Nachfragen

1. Werden nicht in vielen katholischen Kirchen würdige Gottesdienste gefeiert? Sogar manchmal mit Kerzenträgern, Weihrauch und selbst ein bisschen gregorianischem Choral. Wunderbar! Weiter so! Aber es löst noch nicht das Problem. Fragen wir uns: Tun wir das alles, weil wir meinen: „Das kommt gut an. Choral ist wieder mega-in!“? Dann wollen wir die Leute in eine erhabene Stimmung versetzen, um ihnen durch sichtbare Zeichen etwas nahezubringen. Ganz zurücktreten, um in die Sphäre Gottes einzutreten? Nein, eher alles einsetzen, um Gefühle für Gott zu wecken. Da ist sie wieder, die Attraktivitätsfalle. „Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung“, diese Vorstellung aus einem Sacro-Pop-Lied beschreibt die Einstellung dahinter ganz gut: Gottesdienst ist Unterbrechung des Alltags durch eine religiöse Feier. Aber eben eine Feier, die Menschen veranstalten, um etwas zu bezwecken. Nichts grundsätzlich Anderes als ein Pop-Konzert oder ein Public Viewing.
2. Warum ist uns der Sinn für das Heilige abhanden gekommen? Darüber könnte man ganze Bücher schreiben. Aber am Ende würden sich doch nur liturgisch sehr engagierte Priester und eifrige Gläubige angegriffen fühlen: „Haben wir denn alles falsch gemacht?“ Darum nur so viel: Moderne ist gekennzeichnet durch die „Machbarkeit der Sachen“ (Hans Freyer): Wirkung ist alles. Unsere Liturgie hat ganz ungewollt ein gerüttelt Maß davon angenommen: Wir machen ein Fest mit Gott. Die Zeichen der Zeit stehen aber auf etwas ganz Anderes: Gott erscheint, und wir fallen vor ihm nieder.
Dazu nun einige sehr praktische und einfache Ratschläge. Sie sind in dankbarer Liebe zu all jenen geschrieben, die dem Gottesdienst der Kirche die Treue halten. Ich bin mir sicher: Heilige Gottesdienste werden wieder viele Menschen anziehen, gerade weil man das Heilige nirgendwo findet außer in der Kirche. (Natürlich gibt es viele andere Ursachen, die für oder gegen den Kirchgang wirken. Aber ohne heilige Gottesdienste wird auf Dauer niemand dem Kirchgang auch ein Leben lang treu bleiben.)
Teil 1 stellt einige Ratschläge zusammen, die unmittelbar alle Gläubigen betreffen. Demnächst sollen dann auch Ratschläge für Priester, Mesner/Küster, Ministranten, Kirchenmusiker und alle folgen, die eine besondere Verantwortung für den Gottesdienst haben.

Ratschläge für alle

1. Zuerst etwas, ohne das alles nichts wird: die Heiligkeit des Raumes. Wer eine Kirche betritt, muss im ersten Moment merken, sehen, hören, riechen: Das ist ein Haus des Gebetes und keine Markthalle (vgl. Mt 21,23, vgl. Joh 2,16). Schon lange bevor der Gottesdienst beginnt, kann man einzelne Gläubige in der Kirche finden – wie wunderbar! Sie nutzen die Zeit zum Gebet und sitzen nicht bloß rum, bis es endlich losgeht – auch äußerlich sichtbar etwa am Knien, an der gesammelten Haltung, am Beten des Rosenkranzes. Dazu kann auch eine eucharistische Anbetung vor der hl. Messe dienen.

2. Die Äußerlichkeiten zählen. Liturgie ist ein äußeres, öffentliches, sichtbares Geschehen, und darum zählt nicht nur die innere Gesinnung, sondern auch die Art und Weise, wie sie äußerlich zu Tage tritt. Als Beispiel diene eine heute ganz vernachlässigte Äußerlichkeit: der sogenannte Sonntagsstaat. „Die Leute gehen nur in die Kirche, um ihre neuen Kleider zu zeigen“? Oh, das war einmal! Heute gehen viele eher in einfacher Straßen- oder Freizeitkleidung zur Kirche. Sonntagsmesse ist Freizeitveranstaltung, Vereinstreffen, Familienausflug. Nichts gegen legere Kleidung und lockere Stimmung. Aber vor dem brennenden Dornbusch? Sollte man sich da nicht fein machen, wie es unsere Vorfahren gewusst haben? Übrigens: Fein heißt nicht „attraktiv“, so wie es die Mode vorgibt. Gottesdienst erhebt die Herzen und kürzt nicht den Rocksaum.

3. Die elementaren Gesten wie Gehen, Sitzen, Sprechen, Schweigen, Atmen und Schauen sind ganz vom besonderen Geist dieses Ortes geprägt. Sie sind anders als draußen in der Welt. Das gilt natürlich ganz besonders von allen im Altarraum Wirkenden, die mit ihrer Haltung die Anwesenden inspirieren. Alles drückt eine zweifache Gesinnung aus:
•    Zuerst das Geistige, das Leibliche muss ihm dienen: also nicht wie sonst „Hauptsache bequem!“ oder „Wie kann ich am besten auffallen, gefallen, aus der Rolle fallen?“, sondern äußere Demut und Bescheidenheit, damit hier Gott allein zählt – also „Erhebet die Herzen“ und nicht „Tut, wonach euch gerade ist!“
•    Eng damit verbunden die Askese der Sinne, die Selbstbeherrschung, die Sammlung aus aller Zerstreuung, Entschleunigung – darum von A bis Z Form, Maß und Anstand; alles Spontane, „Ungezwungene“ (in Wirklichkeit Formlose), Lockere oder gar Aufreizende ist hier verpönt.
Stichwort Sammlung : Wenn Kinder anwesend sind, sollen sie dazu angeleitet werden, nicht zu stören, sondern zu beten. Das ist übrigens auch eine gute Persönlichkeitsschule. „Impulskontrolle“ nennt man das, und ohne sie wird jemand später als Erwachsener unausstehlich, aufdringlich, selbstverliebt und manches andere Unschöne werden.

4. Der heiligste Moment der Messfeier für den Einzelnen ist neben der Wandlung die hl. Kommunion. Leider sind beinahe alle äußeren Zeichen weggefallen, welche die Einzigartigkeit dieses erhabensten aller Sakramente unterstrichen haben. Einiges ist dennoch mit ein wenig gutem Willen sofort umsetzbar:
•    Am wichtigsten ist es, wieder den Zusammenhang von Lebensführung und Zugang zur Kommunion zu beachten. „Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen…“, mahnt der hl. Paulus (1 Kor 11,28). Es gilt, das eigene Gewissen auf der Grundlage der Zehn Gebote zu befragen. Hat man in einer schwerwiegenden Sache gegen eines der Gebote verstoßen, kann man erst nach der Beichte zur Kommunion gehen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn man aus Nachlässigkeit nicht regelmäßig zur Sonntagsmesse geht oder wenn man außerhalb der Ehe als Mann und Frau zusammenlebt. Man sieht: Der völlige Zusammenbruch der Beichte – gerade auch als Vorbereitung auf die Kommunion – stellt dabei einen großen Verlust dar.
•    Eng damit zusammen hängt die manchmal beinahe gedankenlose Selbstverständlichkeit, mit der man den Leib des Herrn empfängt, einfach weil man eben an der hl. Messe teilnimmt. Wenn das Herz nicht bereitet ist, kann der Empfang auch keine Frucht bringen. Umso mehr trägt es dann aber zu einer nachlässigen inneren Haltung bei, dass die Kommunion am Ende nicht viel mehr darstellt als eine routinierte Geste.
•    Am Ort des Kommunionempfangs sollte auch die Möglichkeit eröffnet werden, den Leib Christi ohne größere Schwierigkeiten kniend zu empfangen und/oder die Mundkommunion zu halten, z.B. auf einer Kniebank. Wo es möglich ist, könnte auch wieder eine Kommunionbank eingeführt werden, die den Empfang in größerer Ruhe und Sammlung ermöglicht als in einer Reihe. Zudem macht sie die Verbindung zwischen Kommunion und Altar deutlicher, vor allem wenn sie mit einem weißen Tuch gedeckt ist.
•    Kostbar ist die Zeit des innigen persönlichen Gebetes. Es ist ergreifend zu sehen, wenn eine ganze Gemeinde nach dem Empfang tief versunken im Gebet verharrt. Das ist in unserer außenorientierten Zeit etwas ganz und gar Außergewöhnliches, und so spricht es stark von der Gegenwart des Herrn inmitten seiner Frommen.
•    Der ordentliche Kommunionspender ist der geweihte Amtsträger; Laien als Kommunionhelfer sollen nur wirken, wenn die Zahl der Kommunikanten zu groß ist, was in zunehmendem Maße nur ausnahmsweise der Fall ist. Tief im katholischen Glauben verwurzelt ist es dagegen, dass ein Sakrament von einem geweihten Amtsträger gereicht wird. Dass die Zeit der Kommunionspendung sich dadurch etwas länger hinzieht, trägt nur dazu bei, den Gläubigen ausreichend Zeit zum persönliche Gebet zu geben. (Kleiner Wink an die Priester: Umso wichtiger ist es, selbst würdig und gesammelt die Kommunion zu spenden.)

„Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes!“, so heißt es bei der Priesterweihe. Diese schöne Aufforderung zu einem Leben aus der Eucharistie könnte auch zum Lebensprogramm jedes Christen werden.

NB: Echte liturgische Missstände kann und darf man natürlich von vornherein nicht mitmachen. So viel steht fest. Bei den vorliegenden Ratschlägen geht es darum, darüber hinaus etwas positiv in die richtige Richtung zu bewegen. Dafür ein letzter Rat: Kirche und Gottesdienst sind hochempfindliche Orte. Wer hier etwas erneuern will, muss darum mit viel Fingerspitzengefühl vorgehen. Die Kirche ist ein Ort des „Pax tecum“, also des Friedens und der Eintracht. Wenn irgend möglich, sollte man hier darum einheitlich und mit dem Einverständnis wenn nicht aller, so doch der meisten vorgehen. Konflikte gehören zum menschlichen Miteinander, aber sie konstruktiv zu lösen gehört zum christlichen Geist. Wenn Liturgie zum Kampfplatz wird, hat sie sicher nichts Heiliges mehr an sich. Das bedeutet natürlich ganz und gar nicht, es gar nicht erst zu versuchen, in die richtige Richtung zu gehen. Wohl aber bedeutet es, dicke Bretter zu bohren – oder besser: sich in christlicher Geduld und Beharrlichkeit zu üben.

[Dieser Text kann mit Nennung des Autorennamens „Andreas Wollbold“ auch in Pfarrbriefen, in Kirchenzeitungen oder auf Flyern o.ä. abgedruckt werden. Gerne kann er auch als Anregung für Predigten, Vorträge usw. dienen.]

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