Klärungen zur Diskussion um „Amoris laetitia“

Wenn man „in dem, was für höheres und das höchste Interesse anerkannt wird, mit unbestimmten Vorstellungen sich begnügen will, so ist schwer zu unterscheiden, ob es dem Geiste mit dem Inhalt in der Tat Ernst ist“ (Hegel, Enzyklopädie § 573)

Unbestimmte Vorstellungen sind en vogue. Auch die katholische Kirche macht da keine Ausnahme. Zum Beispiel in der Diskussion um „Amoris laetitia“ zum angemessenen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Auch ein Jahr nach Erscheinen dieses Nachsynodalen Schreibens bleibt vieles unbestimmt, unklar und verschwommen. Sollte es also der Kirche bei der Ehe nicht mehr „mit dem Inhalt in der Tat Ernst“ sein? Ist das Bekenntnis zur Unauflöslichkeit der Ehe nur noch ein Lippenbekenntnis? Aufgabe der Theologie ist der Dienst an Klarheit Hand, Finger, Menschen, Ring, Ehe, Scheidungund Wahrheit. Darum will ich mich an dieser Stelle nicht an der  Diskussion selbst beteiligen, sondern unklare Punkte in ihr nennen und zu lösen versuchen.
1. Fundamental bei den Sakramenten ist der Unterschied zwischen Außen und Innen, fachlich gesprochen zwischen dem „forum externum“ und dem „forum internum“. Denn Sakramente sind einerseits öffentliche Feiern der Kirche und sie haben andererseits eine höchstpersönliche Bedeutung für jeden Einzelnen. Somit hat auch der Empfang der Kommunion eine Außen- und eine Innenseite.
•    Für die Außenseite gilt: Jemand kann nur daran teilhaben, wenn er äußerlich sichtbar nicht im Gegensatz zum Gesetz Christi lebt. In diesem Sinn spricht CIC c. 915 von denjenigen, „die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren (in manifesto gravi peccato obstinate perseverantes)“. Das ist die Außenseite, und sie ist berechtigt („forum externum“).
•    Und nun die Innenseite. Niemand schaut von außen in das Herz eines Menschen. Darum fordert das Sakramentenrecht in CIC c. 916 daneben ebenso die persönliche Prüfung des Gewissens, ob man nicht in der Todsünde lebt („forum internum“). Dabei kann es vorkommen, dass jemand sich hier nichts vorzuwerfen hat, z.B. sich ernsthaft bemüht, in einer neuen Beziehung nach Scheidung wie Bruder und Schwester zusammenzuleben. In diesem Fall kann er zur Kommunion gehen, aber nur dort, wo sein äußerlich sichtbarer Gegensatz zur Unauflöslichkeit nicht bekannt ist („remoto scandalo“).
Diese Unterscheidung von Innen- und Außenseite ist keine Heuchelei, sondern geschieht aus Rücksicht auf die Mitchristen. Denn ansonsten müssten sie denken: „Ach, kann man also doch nach Scheidung in zweiter Ehe leben und zur Kommunion gehen! Dann kommt es der Kirche also gar nicht mehr darauf an, wie man lebt. Zur Kommunion gehen kann man immer.“ Dadurch hätte man anderen also „Anstoß gegeben“, wovor Jesus so heftig warnt (Mt 18,6). Ein Beispiel für diese Rücksicht gibt der hl. Paulus den Korinthern, wenn auch in einem ganz anders gelagerten Fall. Unter bestimmten Umständen könne ein Christ zwar Götzenopferfleisch essen. Jedoch müsse er auch auf die anderen achten: „Wenn darum eine Speise meinem Bruder zum Anstoß wird, will ich überhaupt kein Fleisch mehr essen, um meinem Bruder keinen Anstoß zu geben“ (1 Kor 8,13).
2. Gerne wird unter Berufung auf Thomas von Aquin gesagt, man müsse eine Tugendethik anstelle einer Gesetzesethik fördern, d.h. gute Haltungen reifen lassen anstatt an Ge- und Verbote zu erinnern. Aber Tugenden sind für den heiligen Thomas feste Haltungen, die aus vielen guten Einzelakten entstehen. Übung macht den Meister, das gilt auch hier. Tugend ist also keine Chiffre für ein zufriedenes, gelungenes Leben, für „Lebenskunst“ oder gar die Tatsache, dass man bei seinen Mitmenschen als ordentlicher, angenehmer Zeitgenosse gilt. D.h. wer eine Aktmoral gegen eine Tugendmoral ausspielt, kennt Thomas wahrscheinlich nur aus zweiter Hand. Nur nebenbei: Vielfach vermischt man hier auch das, was Thomas zur Klugheit gesagt hat, mit seiner Gewissenslehre (sowie, um die Verwirrung vollkommen zu machen, mit seiner Auffassung von der Trübung der Erkenntnis des natürlichen Sittengesetzes). Das hängt damit zusammen, dass man in die Gewissenslehre die neuzeitliche Autonomie projiziert. Dann wird das Gewissen zum Recht auf Selbstbestimmung, das es unbedingt zu respektieren gilt. In Wirklichkeit ist Klugheit für den doctor angelicus die Klarsicht bei der Wahl der Mittel zu einem Ziel („ordo ad finem“ bzw. „recta ratio agibilium“), Gewissen aber das Verstandesurteil darüber, was Gott konkret von jemandem mit seinen Geboten verlangt.
3. Das Gewissen spielt für Katholiken eine große Rolle – nicht erst seit „Amoris laetitia“. Aber was ist damit gemeint? Das II. Vaticanum sagt: „Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft und, wo nötig, in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes“ (Gaudium et Spes 16). D.h. die großen, für alle Menschen geltenden Weisungen Gottes hört ein Mensch im Gewissen ganz persönlich und mit unbedingtem Anspruch. Reden wir von diesem Gewissen oder von einer Instanz der Autonomie und Selbstbestimmung („Ich bin mit meiner Situation im Reinen“)?
4. Papst Franziskus greift auf die Lehre von den mildernden Bedingungen und Umständen zurück (AL 301). Damit erinnert er an die klassischen drei „fontes moralitatis (Quellen der Sittlichkeit)“, also jene drei Punkte, die eine Handlung gut oder böse machen (Materie und Absicht) oder diese sittliche Qualität vermehren oder vermindern (Umstände). Nach eben dieser Lehre gibt es jedoch auch in sich schlechte Handlungen („intrinsece malum“), die niemals durch gute Absichten oder Umstände gut oder auch nur indifferent werden, z.B. Folter, Gotteslästerung, Lüge oder eben sexuelle Handlungen außerhalb de rechtmäßigen Ehe. Ansonsten gälte das Wort: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Ebenso zum eisernen Bestand dieser Lehre gehört es, dass man umständehalber zwar bestimmte gute Handlungen unterlassen darf oder sogar soll (z.B. das Fasten wegen gesundheitlicher Probleme), niemals aber sündhafte Dinge tun darf oder gar soll. Es gibt also etwa keine berechtigten Notlügen. Ob jemand positiv etwas tun soll, hängt tatsächlich von den Umständen ab; ob er dagegen etwas in sich Sündhaftes vermeiden muss, bei solchen Akten gibt es nichts zu überlegen, denn da muss pfeilschnell das Gewissen rufen: „Niemals!“ Wenn aber derzeit unter fälschlicher Berufung auf Papst Franziskus von  Umständen die Rede ist, die einem Paar gewissermaßen keine andere Wahl lassen als auch weiterhin „more uxorio“ zusammenzuleben, verunklart das die katholische Lehre bis zur Unkenntlichkeit. Einfacher gesagt: Es gibt keinen denkbaren Einzelfall, bei dem ein geschlechtliches Zusammenkommen außerhalb einer rechtmäßigen Ehe gerechtfertigt wäre – gleich in welcher Form von Partnerschaft.
5. Gewissen braucht Gewissensbildung: Viele Betroffenen werden von sich sagen, sie haben mit ihrer früheren Ehe abgeschlossen, und die Sache ist jetzt in Ordnung. Das Leben ist längst weitergegangen. Der Widerspruch zur lebenslangen Treue, die sie einmal vor dem Altar versprochen haben, ist ihnen dabei vielleicht gar nicht bewusst. Manche werden auch die Lehre der Kirche gar nicht oder nur unklar kennen. Freunde und Bekannte werden sie in dieser Haltung bestätigen. So leben sie in einer Situation des irrigen Gewissens. Dann ist es Aufgabe der Seelsorger ebenso wie ihres Umfelds, sie ruhig und freundlich über ihre Lücken aufzuklären. Einwand: Und wenn es sich um ein „unüberwindlich irriges Gewissen“ handelt? Muss man ihm nicht auf alle Fälle folgen? Nein, für einen Katholiken ist es erste Gewissenspflicht, „die Kirche zu hören“ in ihr den Willen Gottes kennenzulernen, wie es im Tauflied heißt: „Fest soll mein Taufbund immer stehen, ich will die Kirche hören.“ Nebenbei: Hier sieht man auch, wie gefährlich es ist, wenn die Kirche nicht mehr mit einer Stimme spricht oder ihre Lehre im Unklaren lässt.
6. Mehr als eine Spitzfindigkeit ist auch die Frage, wer letztlich die „Unterscheidung“ der besonderen Situation vornimmt und sagt: „Es ist gut, das Paar kann zur Kommunion gehen.“ Der zuständige Pfarrer (so sagt es etwa Kardinal Coccopalmieri)? Entsprechend einem Kriterienkatalog, den der Bischof ihm an die Hand gibt? Oder nach Fingerspitzengefühl? Oder sollen das die Betroffenen selbst entscheiden, und die Seelsorger respektieren dies (so nach den deutschen Bischöfen? Oder geht es gar einfach nur um den Verzicht darauf, mit Autorität zu intervenieren oder vielleicht sogar an der Kommunionbank Aufruhr zu verursachen (die sogenannte „dissimulatio“, das Schweigen ohne Billigung des Tuns, um dadurch Schlimmeres zu verhüten)?
  7. Schließlich erscheint die Diskussion so fixiert auf die Frage des Sakramentenempfangs, dass die Punkte, die wirklich dringend einer Klärung bedürfen, vernachlässigt werden:
•    Die Frage nach dem sogenannten Minimalglauben, der zum Zustandekommen des Ehekonsenses notwendig ist.
•    Die Möglichkeit soziokultureller Gründe der Ehenichtigkeit, d.h. dass Brautpaare zwar in großem Ernst und tiefer Überzeugung zueinander Ja sagen, das Jawort aber so verstehen wie es die dominante Kultur tut: als ernsthaften Versuch und Hoffnung, dass es gut geht, jedoch einschließlich der Möglichkeit, sich bei einem unbefriedigenden Verlauf der Ehe zu trennen und sich mit einem neuen Partner zusammenzutun.
•    Die Eröffnung von Wegen für betroffene Paare, die wirklich entsprechend dem Willen Gottes leben wollen und wie Bruder und Schwester zusammenleben, auch öffentlich und im „forum externum“ zur Kommunion gehen zu können, also nicht nur da, wo ihre frühere Ehe nicht bekannt ist („remoto scandalo“). D.h. es fehlt eine auch äußere, öffentliche Anerkennung seitens der Kirche, dass ihre Beziehung auf Freundschaft und Unterstützung beruht und damit ihrem Wesen nach etwas anderes ist als eine zweite Ehe. Nur nebenbei: Paare zu begleiten, die abseits von den üblichen Pfaden ihr Zusammenleben im Blick auf Gottes Willen gestalten wollen, sie zu motivieren, ihnen den Sinn einer solchen Lebensweise „off the beaten path“ zu erschließen und ihnen auch praktisch zu raten, wie das geht und wie man dabei sehr, sehr glücklich werden kann, das wäre doch eine Aufgabe für eine Kirche, die an die Ränder geht!
•    Die Klärung der Praxis der genannten „dissimulatio“: Wann ist sie möglich, ja sogar geboten? Selbst wenn der Priester jedoch an der Kommunionbank schweigt, muss er dann nicht wenigstens in Predigten und Informationen z.B. im Pfarrbrief die Ordnung des Kommunionsempfangs in Erinnerung rufen sowie vielleicht auch außerhalb der Messfeier mit den Betroffenen das Gespräch suchen?

Bei den Fragen von „Amoris laetitia“ geht es nicht um Rechthaberei. Es geht um zwei große Schätze: das Sakrament der Ehe und das der Eucharistie. Beide Schätze klar im Blick zu behalten und nicht im Unbestimmten zu verbleiben trägt dazu bei, dass es „mit dem Inhalt in der Tat Ernst ist“. Und das ist allemal auch der beste Dienst an den Menschen.

3 Gedanken zu “Zur Diskussion um „Amoris laetitia“

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