Hieronymus - Drei Mönchsviten: Paulus von Theben Malchus der Syrer Hilarion von Gaza

Hieronymus, Vita Pauli, Vita Malchi, Vita Hilarionis – Drei Mönchsviten. Lateinisch – Deutsch. Eingeleitet und kommentiert von Andreas Wollbold. Übersetzt von Johannes Isépy und Veronika Lütkenhaus (= Fontes christiani 104), Freiburg: Herder 2025. 59 € (gebunden). 336 Seiten. ISBN: 978-3-451-39872-8.

Vita des Malchus

„Das kleine Dorf Maronias liegt etwa dreißig Meilen östlich von der syrischen Stadt Antiochia. Als ich mich als junger Mann in Syrien aufhielt, […] gab es dort einen gewissen Greis namens Malchus. […] Unter seinem Dach lebte auch eine alte Frau, offenbar altersschwach und schon dem Tode nahe.  Die beiden waren so eifrig im Glauben und gingen so häufig in der Kirche ein und aus, dass man sie für Zacharias und Elisabeth aus dem Evangelium halten konnte – nur dass kein kleiner Johannes um sie herumlief. Als ich die Einwohner neugierig fragte, welcher Art denn ihre Verbindung sei, ob Ehe, Blutsverwandtschaft oder geistige Verbindung, antworteten alle einstimmig, sie seien heilig und gottgefällig und dergleichen außergewöhnliche Dinge. Diese Wissbegier ließ mich auf den Mann zugehen, und mit einer gewissen Neugierde fragte ich ihn, ob diese Dinge wahr seien. Daraufhin erfuhr ich von ihm Folgendes.“

Domenico Ghirlandaio, Hl. Hieronymus (1480)

Mit dieser kleinen Rahmenhandlung beginnt der große Bibelgelehrte, Orientalist und Kirchenlehrer Hieronymus (348/349-420) sein „Leben des Malchus“. Drama, Liebe, Geld, crime und sex (oder genauer eben kein Sex!), wilder Orient, Löwen und Dromedare, Sklavenelend und Freiheitsdrang, das hat er auf wenigen Seiten zu einer Perle der altchristlichen Literatur gemacht. Hier ist der leidenschaftliche Hitzkopf und Heilige Hieronymus in Bestform. Er ist wirklich der geborene Erzähler und liefert spannende Unterhaltung und Erbauung, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Er singt das Loblied auf ein Leben für Gott, das manchmal auch ungewöhnliche Wege nimmt. In diesem Fall ist es eine Scheinehe, die aber zu einer tiefen geistlichen Freundschaft wird und bei der Malchus nach und nach zu einem wahren Mönch wird. So wirkt auch am Ende die Moral von der Geschicht‘ glaubhaft: „Selbst inmitten von Schwertern, Wüsten und wilden Tieren ist die Keuschheit niemals gefangen! Wer sich Christus geweiht hat, mag zwar sterben, niemals aber besiegt werden!“

„… mit einer gewissen Neugierde fragte ich ihn, ob diese Dinge wahr seien.“

Vita des Paulus

Die Vita des Malchus ist die kleinste von drei Mönchsviten aus der Feder des Hieronymus. Eingerahmt ist sie von den großen Brüdern, der frühen Lebensbeschreibung des Paulus von Theben und der späteren Vita des Hilarion von Gaza (!). Paulus wird von ihm zum Begründer des eremitischen Lebens stilisiert, also sogar noch vor Antonius, dessen Besuch bei Paulus das Herzstück der Vita ausmacht. Paulus hatte nur sozusagen das Pech, bisher keinen hl. Athanasius mit seiner Bestseller-Vita des Antonius gefunden zu haben. Da wollte Hieronymus Abhilfe schaffen – zu große Bescheidenheit und mangelnden Ehrgeiz kann man ihm sicher nicht vorwerfen. Moderne Historiker, vor denen freischaffende Künstler und Pioniere wie Hieronymus wenig Gnade finden, haben ihm vorgeworfen, er habe die Figur des Paulus nur erfunden, um sich wichtig zu tun. Ob da allerdings nicht doch ein historischer Kern vorhanden ist, halte ich zumindest nicht für ausgeschlossen. Denn das ägyptische Mönchtum ist nicht von einem genialen Einzelnen erfunden worden, sondern es wuchs an vielen Orten aus der gut etablierten Askese innerhalb der Gemeinden heraus. Auch erscheint der Einfluss der Christenverfolgungen durchaus plausibel. So heißt es in der Vita sehr realistisch vom jungen Paulus: Er „floh in die Einsamkeit der Berge und wartete dort das Ende der Verfolgung ab. Er machte dabei aus der Not eine Tugend und drang mehrmals weiter in die Bergwelt vor und zog sich dann wieder zurück.“ Wichtiger ist aber die literarische Gestalt dieses Frühwerk des großen Bücher- und Briefeschreibers Hieronymus. Sie ahmt in manchem die Vita des Antonius nach, setzt aber auch deutliche eigene Akzente. So ist die Wüste bei Antonius der Ort der Dämonen, bei Paulus dagegen ein Paradies auf Erden.

„Wer der erste Mönch gewesen sei, der sich als Einsiedler in der Wüste niederließ, ist eine vieldiskutierte Frage.“

Vita des Hilarion

Die Vita des Hilarion kann man als einen großen Reiseroman lesen. Hilarion kommt kreuz und quer durch das Mittelmeerbecken herum. Eine übersichtliche Karte am Ende des Buches zeichnet seine Reisewege nach, so wie auch die der beiden anderen Mönche. Allerdings treibt ihn nicht Abenteuerlust und Entdeckerfreude, auch nicht die ewige Plage der Reichen, wie sie ihr Geld ausgeben können, sondern die Flucht vor dem Ruhm. Hilarion ist ein ausgesprochener Wundertäter, und nichts spricht sich so schnell herum wie eine Heilung. Oder auch einmal die Hilfe für einen christlichen Rennstallbesitzer gegen verbrecherische Methoden der Konkurrenz beim Pferderennen. Mit oft spannenden Anekdoten kann Hieronymus ganz nebenbei und ohne lange theoretische Exkurse den neuen Typ des heiligen Mönchs zeichnen: Nachfolge, ja Nachahmung Christi, Verzicht auf irdische Güter, Keuschheit, Gebet und Einsamkeit, Schriftstudium, aber auch eine unerschöpfliche Nächstenliebe… und am Ende auch ein Quäntchen Mutterwitz, ohne den diese Geschichten nie so populär geworden wären. Als etwa ein junger Mann alle Hebel in Bewegung setzte, eine gottgeweihte Jungfrau zu verführen, und schließlich sogar Magie und Zauberplättchen unter ihrer Haustür vergrub, wurde die heiß Begehrte tatsächlich von leidenschaftlicher Liebe ergriffen, verfiel dabei aber dem Wahn. Dumm gelaufen! Vor Hilarion zeigt sich, dass ein Dämon das angerichtet hatte. Er war wohl eher noch ein Zauberlehrling. Dem Heiligen schreit und jammert er nur die Ohren voll, dass er sich jetzt noch ausgerechnet in einem Kloster wiederfindet. Dabei hatte er in Memphis doch ein so ruhiges Leben! Hilarion daraufhin: Dann solle er halt aus dem Mädchen ausfahren! – Geht nicht, solange die Zauberplättchen noch von dem jungen Mann unter der Schwelle vergraben sind. Hilarion merkt, dass er es mit einem Chaoten von Dämon zu tun hat und fragt ihn: „Warum bist du nicht lieber in deinen Herren eingefahren?“ – „Wozu sollte ich das tun?“, erwiderte der. „Er hatte ja schon meinen Kollegen, den Lustdämon!“ Hätte er doch einmal ordentlich eine Zauberschule besucht!

El Greco, Hl. Hieronymus (ca. 1610, Metropolitan Museum of Art)

So sind die Mönchsviten drei Edelsteine unter dem reichen Schatz der Erzählungen und Anekdoten aus dem frühen Mönchtum. Hieronymus ahmt deren einfachen, volkstümlichen Ton nach, webt aber mit Raffinement auch gebildete Anspielungen, geistliche Lehre und eine kraftvolle Moral von der Geschicht‘ ein. Wesentlich zu ihrer Wirkung trägt nun auch die flüssige, philologisch genaue, aber niemals ballasthaltige Übersetzung der beiden Altphilologen Veronika Lütkenhaus und Johannes Isépy bei. Ihr Beitrag zu diesem neuen „Fontes christiani“-Band ist groß und unschätzbar. Denn Einführung und Kommentar von meiner Hand wären eben doch nur wie Speisekarte ohne dampfendes Gericht. So bietet Buch für jeden etwas: Interessierten an den Anfängen des Mönchtums und seiner zu allen Zeiten bewunderten Spiritualität, Freunden guter christlicher Literatur, Antikenwissenschaftler, Hagiographen, Patristikern und Theologen… und nicht zuletzt Leuten auf der Suche nach einem guten Geschenk!

„Man begrub ihn im alten Kloster in seinem noch heilen Gewand, der Kapuze und seinem Mantel. Sein Körper war völlig unversehrt, als sei er noch lebendig, und er roch so köstlich, als sei er frisch gesalbt worden.“