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Sommerrätsel 2025 – die Auflösung

„Der Verfasser des Buches Hiob, das die Frage nach dem Übel in der Welt erschöpfend stellt und unübertroffen beantwortet, zum Trost unzähliger Generationen. Ohne Hiob gäbe es keinen Sinn im Leiden, gäbe es weder Goethes ‚Faust‘ noch Dostojewskis ‚Idioten‘ und ‚Brüder Karamasow‘.“

So notiert Franz Werfel in seiner Auflistung jüdischer Leistungen unter dem Titel „Das Geschenk Israels an die Menschheit“ (1938) zum alttestamentlichen Buch des Dulders Hiob. Bei der anschließenden Liste großer jüdischer Schriftsteller fehlt allerdings eigenartigerweise Joseph Roth (* 1894 Brody/Ostgalizien, + 1939 Paris). Dabei verbindet die beiden österreichischen Dichter ein Doppeltes: In der Zeit des sich zusammenbrauenden Nationalsozialismus ein dezidiertes Bekenntnis zur Idee des alten Österreich jenseits des Nationalismus: „Die Mehrheit der Deutschen bestünde nicht aus ‚ungebrochenen‘ Feldwebelcharakteren, sondern aus glücklicherweise sehr ‚gebrochenen‘ Österreichern, aus behaglich skeptischen Weltfreunden, die nicht von krampfigen Pflichtgefühlen und Willenstrieben bersten, sondern den Wein des Lebens mit heiterem Vergänglichkeitsbewußtsein und wehmütigem Verstande schlürfen“ (Franz Werfel, Les deux Allemagne, 1939). Kein anderer hat aber dem alten Österreich – allerdings aus dem Blickwinkel des Untergangs – so großartige Denkmäler gesetzt wie der späte Joseph Roth in seinem Meisterwerk „Radetzkymarsch“ (1932) und der noch düsterer gehaltenen „Die Kapuzinergruft“ (1938). Während also Werfel aus dem ‚gebrochenen‘ Österreicher ein Ja zum Leben, zur Menschlichkeit, zur Musik, zur Liebe und zum Frieden rettet, schaut Roth auf die Tragik, mit der dieser in der neuen Zeit mit ihrer Unerbittlichkeit und Härte nach und nach zermalmt wird. Er wusste, wovon er redete, denn er geriet in seiner Verzweiflung immer mehr an den Alkohol, der ihm schließlich auch einen frühen Tod brachte. Doch noch etwas Anderes verbindet Werfel und Roth: die allmähliche Hinwendung zum religiösen Charakter ihres Judentums, das Wissen darum, dass Rettung und Heil in aller Gebrochenheit allein von oben kommen kann. Dadurch gehören beide in ihrem späteren Werk zu den überzeugendsten religiösen Schriftstellern dieser dunklen Epoche. Nirgendwo hat beides, Leid und Erlösung, einen so ergreifenden Ausdruck gefunden wie in dem Roman Roths, um den es in diesem Rätsel ging:

Hiob. Roman eines einfachen Mannes (1930)

ein „erbarmungswürdiger Zeuge für die grausame Gewalt Jehovas“

Mendel Singer, der Hiob des Romans, lebt ganz in der ostjüdischen, chassidischen Frömmigkeit. Er ist ein durch und durch Gerechter, und das heißt für diese ein Gesetzestreuer, „fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude“. Natürlich ist er nicht einfach Durchschnitt, sondern diese Charakterisierung stellt ihn als Inbild eines Juden dar, ganz in der Tradition alter Heiligenlegenden, wie vor allem der wunderbar-wundersame Schluss zum Ausdruck bringt. Denn die Wendung aller Not durch Gottes Fügung kann für Roth nicht mehr sachlich-realistisch beschrieben werden, sondern nur im Goldglanz der Legende. Singer, dieser Hiob des beginnenden 20. Jahrhunderts, wird aber viel spezifischer als sein biblisches Vorbild an seiner Gesetzestreue geprüft (also eher wie Tobit): ein epileptischer, schwachsinniger Sohn, ein Sohn, der entgegen den Vorschriften zum Militär geht, ein dritter Sohn entzieht sich der Einberufung durch Flucht nach Amerika, und die lebenslustige Tochter lässt sich mit den Kosaken ein, Inbegriff der gojim. Um Letzterem ein Ende zu bereiten, wandert er ebenfalls nach Amerika aus und lässt sich bei seinem inzwischen zu Wohlstand gekommenen zweiten Sohn nieder. Doch das Verlassen der Heimat fordert einen hohen Preis von ihm, einen zu hohen. Mit schlechtem Gewissen muss er den behinderten Sohn bei guten Menschen zurücklassen, seine beiden Söhne sterben im Ersten Weltkrieg, seine Frau vergeht in ihrem Schmerz darüber, und die lebenslustige Tochter wird wahnsinnig und muss in einer Anstalt untergebracht werden. Unter dieser allzu großen Last zerbricht Mendel Singer, er flucht Gottes, gibt es auf, zu beten und die Vorschriften des Gesetzes zu beachten – und bleibt doch gerade darin ein „erbarmungswürdiger Zeuge für die grausame Gewalt Jehovas“. Der wunderhafte Schluss sei hier nicht verraten, aber er steht für Roths Glauben, dass weit über der irdischen Ausweglosigkeit eine bessere Welt steht und ein Auge voll Barmherzigkeit Not, Fluch und Zorn als das versteht, was es ist: den Schrei eines einfachen Mannes, der diese irdische Welt nicht mehr versteht.
Mit diesen wenigen Bemerkungen sind auch schon die kleinen Tipps zum Rätsel erschlossen. „Unser Autor hat etwas Äußerliches, genauer gesagt etwas Nachstehendes, mit Giuseppe Verdi gemeinsam. Wenn man beide dann aber zusammennimmt, hört es sich auf Deutsch ziemlich politisch an.“ Verdi könnte man mit „Grün“ übersetzen, und „Roth“ ist die alte Schreibweise der Farbe Rot. „Rot-Grün“ steht für eine zuletzt wenig glückliche politische Ehe im Bund. Und die nicht nur äußerliche Geistesverwandtschaft mit Verdi hatte natürlich besagter Franz Werfel, dessen erster großer Erfolgsroman „Verdi. Roman der Oper“ war. Darin hat er übrigens am Widerspiel von Verdi und Wagner den Gegensatz zwischen dem alten Österreichideal und dem verkürzten Deutschtum ins Grundsätzliche gesteigert.
Die Gewinnerin/der Gewinner dieses Sommerrätsels wird in den nächsten Tagen ausgelost und benachrichtigt. Wie versprochen, gibt es als Preis noch einmal das große Zölibatsbuch: Zölibat – Schlüsseltexte aus den Anfängen bis zum 5, Jahrhundert.

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