Müde im Glauben?

Scirocco ist inzwischen auch nördlich der Alpen ein Begriff: Da kommen schwere Wolken aus dem Süden, die Saharasand mit sich tragen. Nach dem Regen sehen die Autos so aus, als hätten sie gerade die Rallye Paris-Dakar hinter sich gebracht. Scirocco war in meiner römischen Studienzeit aber bereits ein Begriff mit Augenzwinkern. Denn wenn einige von uns keine Lust zum Studium hatten, dann schauten sie zum Himmel und machten ein bedenkliches Gesicht: „Oh, die Wolken bekommen rote Ränder: Scirocco! Nichts wie raus aus der Stadt!“ Fundamentum in re daran war: Scirocco ist ein klassisches Migränewetter: schwülwarm, drückend und nichts Gutes verheißend.

Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun (Gal 6,9)

Scirocco – nichts wie weg! Mit diesem Reflex habe ich damals für mich die Frage geprägt: „Was mache ich einmal, wenn der Scirocco des Lebens kommt?“ D.h. wenn Zeiten kommen, da die Wolken tief hängen, sehr tief? Als läge auf dem Himmel eine schwere Decke, als wäre er kein luftiges Zelt.

  • Der Scirocco des Lebens kann einfach eintreten, wenn Aufgaben warten, zu denen man partout keine Lust hat.
  • Aber auch, wenn der erste Schwung weg ist, wenn kleine Brötchen gebacken werden müssen und keine Hochzeits- respektive Primiztorten.
  • Oder wenn der Bruder Leib die Zügel anzieht und unsere Vitalität ausbremst.
  • Wenn Menschen und Institutionen uns enttäuscht haben und die Arbeit mit ihnen Überwindung kostet.
  • Schließlich wenn der Erfolg ausbleibt: Wir haben alles versucht, aber der Dammbruch ist viel zu gewaltig, um sich ihm entgegenzustemmen.

Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun. Paulus weiß um den „Scirocco des Lebens“ – offenbar auch lange, bevor er in Rom mit dem Wetterphänomen Scirocco Bekanntschaft machen durfte.

  • Er weiß um das Müdewerden im Glauben,
  • um nachlassende Glaubensfreude,
  • um schwindenden Eifer,
  • darum, dass man auf einmal erfinderisch wird bei Ausreden und auf einmal alles andere wichtiger wird als der Glaube. Das fängt mit einem scheinbar großzügigen „Passt schon!“ an, geht über das „Man gönnt sich ja sonst nichts!“ bis hin zum „Ich bin ich, da hat mir niemand hineinzureden“.

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Müdewerden im Glauben setzt meistens schleichend ein, dann aber umso nachhaltiger.

Müdewerden im Glauben kann aber auch die Kirche als Ganze erfassen, sozusagen als kollektive Schlafkrankheit. Ich halte das nicht gegen ein wenig realistisches Ideal, nämlich eine krampfhafte Munterkeit und den Zwang, stets gute Laune zu zeigen, weil Christen ja so erlöst aussehen müssen. Als Christen sind wir keine Werbeträger, keine Promotion-Maskottchen. Die Müdigkeit erfasst die Kirche sehr viel tiefer. Sie stellt die „Alles zu viel“-Krankheit dar. Alles Übernatürliche, alles, was quer zum breiten Strom liegt, alles Opfer und Verzicht, aller Adel der Seele, für den der Sinn des Lebens nicht vor allem in der Befriedigung von Bedürfnissen besteht, kurz der „Geist“ anstelle des „Fleisches“, wie Paulus sagt, das ist ihr zuwider. Wie bei leiblich Kranken können im Glauben Müde richtig patzig werden, wenn man sie darauf anspricht. Dann schimpfen sie wie ein Rohrspatz auf alles, was ihnen heilig sein könnte. Andere leiden still in sich hinein, aber nach außen hin ist Dienst nach Vorschrift und viel Freizeit die Devise, mit der sie sich über Wasser halten.

Paulus hält aber nicht nur die Diagnose bereit, sondern auch die Therapie: Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun; denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Das ist aufschlussreich: Er sagt nicht: Lasst uns nicht im Glauben müde werden!, denn das kann jedem passieren, das hat man nicht einfach in der Hand. Entscheidend aber ist, im Guten, also in den Werken des Glaubens nicht müde zu werden. Wenn alles also einmal schwerfällt, dann erst recht das tun, was gut ist:

  • Zuerst und vor allem die eigenen Aufgaben und Pflichten nicht vernachlässigen, sondern sie jetzt besonders treu erfüllen.
  • Jetzt großzügig werden und nicht kleinlich, also z.B. Bösen mit Gutem vergelten; einfach etwas Schönes für Gott machen, ein besonderes Opfer bringen, sich ein großes Ziel setzen.
  • Sich auf den heutigen Tag konzentrieren: Wenigstens heute will ich alles richtig gut machen.

Studium, Wissenschaft, Forschung und Lehre, sie sind eine hervorragende Schule dafür, nicht müde zu werden, das Gute zu tun. Das ist gerade die Schule der Wissenschaft:

  • keine Schnellschüsse von sich geben,
  • nicht erwarten, wie Eisläufer federleicht durch die Semester gleiten zu können;
  • um Einsichten ringen, skeptisch gegenüber raschen Antworten bleiben, Vorurteile durchschauen, vor allem sich selbst und die eigenen Ansichten immer wieder hinterfragen;
  • wissen, dass Erkenntnis eine Lebensaufgabe ist, der man sich wirklich hingeben muss und darum auch auf manches Vergnügen verzichten muss.

Es ist eine weit verbreitete Illusion, ich könnte etwas wirklich wissen, wenn ich es mit drei Klicks im Internet herunterladen kann. Es braucht Geduld, Treue, Beharrlichkeit, Unbeirrtheit trotz vieler Rückschläge, Dranbleiben – also eben nicht müde werden, es gut zu machen.

[…] denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Die Ernte des Lebens wird erst in der Ewigkeit gehalten – auch für die Ernte unseres Strebens nach Wissenschaft und Erkenntnis. Denn einst erst wird alles Stückwerk von unserer Erkenntnis weichen, und wir werden den schauen von Angesicht zu Angesicht, der die Wahrheit selbst ist.

Gal 6,7-10

Was der Mensch sät, wird er ernten.        

Wer im Vertrauen auf das Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber im Vertrauen auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten.  

Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun; denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist.

Deshalb wollen wir, solange wir noch Zeit haben, allen Menschen Gutes tun, besonders aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind.