Sommerzeit – Reisezeit. Reisezeit – Lesezeit. In bewährter Tradition ist das Sommerrätsel auch in diesem Jahr wieder ein Literaturrätsel. Es geht auch um eine Reise, allerdings nicht im Sommer, sondern im Herbst. Auch nicht mit Bahn, Flugzeug oder Auto, sondern… mit der Kutsche. Bedauernswert? Nicht, wenn man erfährt, dass unsere Reisenden – ein wohlgelauntes Ehepaar, zwischen denen alles hübsch eben und heiter stehen soll – auf einem Schloss übernachten, mit höchstpersönlicher Betreuung und Bewirtung, schließlich mit Teilnahme an eine Verlobungsfeier, und das ganz ohne vorherige Buchung. De luxe mit Familienanschluss also. Dass dies zustande kommt, verdanken die beiden einem Fauxpas der Hauptperson. Stets mehr mit ihren Phantasien und „Grillen“ beschäftigt, wie man sie damals gerne nannte, pflückt diese eine kostbare Orange aus dem Pomeranzengarten des Schlosses, wird daraufhin vom Gärtner beinahe am Schlafittchen gepackt und… dann als Prominenz entlarvt.

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In der Tat, sie ist auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes, befindet sich auf Dienstreise von einer europäischen Hauptstadt zur anderen (beide sehr k.u.k. und sehr barock!), und von seinem Armenbegräbnis bald darauf ist noch nichts zu ahnen. Oder vielleicht doch. In den lockeren Plaudereien und den spielerisch aneinandergebundenen Anekdoten, Erinnerungen und Episoden erfährt man, dass der Herr der Schöpfung schlechthin kein Verhältnis zum Geld hat, konstant zum Verdruss seiner ansonsten stets geistreichen, heiteren und treuen Gattin, der unsere Novelle ein würdiges Denkmal setzt. Er ist halt ein Verschwender, nicht nur pekuniär, sondern noch viel mehr professionell, was ihm bis heute Unzählige auf der ganzen Welt danken. Und nicht nur auf der Erde! Ein berühmter Theologe meinte einmal, dass die Engel bei offiziellen Anlässen Bach spielten, aber in der Freizeit zögen sie die Register unseres Reisegefährten vor. Dieses Diktum war dann wohl mitschuldig daran, dass ein anderer großer Theologe als „NN. der Theologie“ bezeichnet wurde. Na ja. Wenn man unsere Novelle gelesen hat, wird man beide wohl besser bei ihren Leisten bleiben lassen. Oder besser unsere Erzählung als „NN. der Novellistik“ bezeichnen, denn der Einfallsreichtum, der rasche Wechsel breiter Gemälde und rascher Verdichtung, der grundgute Blick auf das Ganze, die Liebe zur Liebe und das unerschöpfliche Spiel haben viel mit der Musik unseres Helden zu tun. (Dass dieser ein Musiker war, ist mittlerweile sicher schon durch die Wände des Rätsels gesickert!) Aber die Parallele reicht noch tiefer. Wie bei diesem besitzt die Novelle viele Schichten. Das Heiter-Unbeschwerte, die Wohlgestimmtheit aller und von allem, das Lachen über jeden Ernst des Lebens, das ist nur die oberste Schicht, und man nimmt es unserem Autor, einem evangelischen Theologen und zeitweiligen Pfarrer, ab, dass für ihn so leben zu können eine gewaltige Errungenschaft darstellt, beinahe das Traumbild eines Lebens, das in jedem Augenblick in ein böses Erwachsen übergehen kann. So ist das Pflücken der verbotenen Frucht aus dem paradiesischen Garten – auch wenn’s kein Apfel ist, sondern eine Orange – natürlich beim Theologen viel mehr als eine hübsche Idee. (Die Hauptperson bringt dies in einem netten Billet auch geradewegs zum Ausdruck.) Am Ende steht einfach der Abschied von Schluss voll dunkler Ahnung: Nach der Verzauberung durch den Besuch entsteht eine Leere im Schloss, so als wenn die Schaumspritzer des schwungvollen Zusammenseins zerplatzten und das Leben wieder erscheint, wie es ohne Phantasie, Liebe und Geist nun einmal ist. Die Verlobte aber empfindet eine leise Furcht um den Gast, dass er sich an seiner eigenen Glut verzehren und bald sterben werde. Denn diese Welt vertrage keinen Überfluss. Schon vorher öffnete seine Musik, genauer die seiner letzten Oper, Abgründe und Todesgedanken. Diese endet übrigens für deren Antihelden schlechthin in der Hölle: „Mors peccatorum pessima“! Bleibt nur ein unverblümtes „Memento mori“ in Form eines Volksliedes, dem das letzte Wort der Novelle gegeben wird. War also alles zuvor in diesen 24 Stunden des Aufenthaltes auf den Schloss nur Schein, Falsch, Lüge? Oder lebte es gerade vom Ja zum Spiel, zur Kunst, zur Leichtigkeit des Augenblicks, auch zur treuen Liebe, zum Wohlwollen und dem Sich-Finden gleichgesinnter Geister? Damit wäre die Hymne nun endgültig eine Symbiose mit ihrer Hauptfigur eingegangen.

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Wer glaubt, die richtige Lösung gefunden zu haben, nenne also den Autor und den Titel der Novelle (den Musiker muss man dann nicht mehr eigens nennen), und sende sie per Mail an: andreas.wollbold@lmu.de. Weil bisher noch wenig vom Autor die Rede war, hier noch drei Tipps. Er und sein Held tragen den gleichen Anfangsbuchstaben. Der Autor hat dem Frühling ein flatterndes blaues Band angedichtet, was ebenso genial ist wie mancher musikalische Einfall seiner Titelfigur. Er hat rund um das größte Binnengewässer Deutschlands eine Idylle gewoben, die man aber auch als ein Schelmenstück mit Versmaß bezeichnen könnte. Zu gewinnen gibt es dieses Mal meine große Quellenausgabe „Zölibat. Schlüsseltexte aus den Anfängen bis zum 5. Jahrhundert“. Einsendeschluss ist der Beginn des Wintersemesters, also Sonntag, der 13. Oktober 2024, um 24 Uhr. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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