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Kein Nachruf, aber eine Besinnung – zum Tod von Papst Franziskus

Ein Konservativer wie ich hat sich mit Papst Franziskus schwergetan. Wer Tradition weder für eine Mottenkiste noch für ein Museum hält, sondern für einen anvertrauten Schatz, aus dem Neues und Altes hervorzuholen ist, hatte in ihm sicher nicht seinen Lieblingspapst. Nun ist aber der Nachfolger des hl. Petrus kein Schokoladenosterhase, und erwachsene Christen sind keine Unmündigen, die das Gesicht verziehen, wenn er nicht aus Vollmilchnuss ist. Der Heilige Vater ist der Kirche von Gott gegeben, damit sie in ihm und an ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen kann: „Stärke deine Brüder!“ (Lk 22,32). Derjenige Vater ist nicht der schlechteste, an dem man sich reiben kann und dadurch selber erwachsen wird. So habe ich mich gefragt, an welchen Stellen das Pontifikat von Papst Franziskus einen Konservativen wie mich herausfordert und was daran die Chance zu Reinigung und Wachstum gibt. Daraus ist kein Nachruf entstanden, den andere sicher kompetenter und strahlender verfassen können. Aber eine ruhige Selbstbesinnung ist vielleicht nicht das Schlechteste, was man am Abend seines Todes tun kann. Die Zeit der Papalatrie ist ohnehin längst vorbei.

Die “alte Messe”

Einen Stich ins Herz hat mir „Traditionis custodes“ gegeben. Man kann das Schreiben nicht anders als einen Frontalangriff auf die alte Messe und ihre Freunde bezeichnen. Nun ist Papst Franziskus zweifellos die überlieferte Form der Messfeier und überhaupt jede etwas strengere Form der Liturgie schlicht fremd geblieben. Mehr als seine Vorgänger war er der Papst des nachkonziliaren Umbruchs, und da konnte die „vorkonziliare“ Messe keine Gnade finden. Aber – und nun kommt die Selbstbesinnung – hat der Papst nicht dennoch auch etwas Richtiges gesehen? Die Freunde der Tradition sind gewiss nicht allesamt und allezeit „sanftmütig und von Herzen demütig“ (Mt 11,29). Auch Rechthaberei kann verlocken, Überlegenheitsgefühl das Ego kitzeln, Schwelgen in erhabeneren Welten die Bewährung im Hier und Jetzt verdrängen. Auch stellt der Papst der Zuwendung zu den Schwachen alle Christen vor die Frage: Seid ihr auch wie der Herr „unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22,27)? Traditionalisten zeichnen sich nicht immer durch eifrige Werke der Caritas aus, und Spenden und Kollekten dienen hauptsächlich den (an sich berechtigten) eigenen Erfordernissen.

Ich aber bin unter euch wie der, der bedient (Lk 22,27)

Bewahrung des Glaubens

Vornehmste Aufgabe des Bischofs von Rom ist die Bewahrung und Verteidigung des Glaubensschatzes. In diesem Punkt hat Papst Franziskus von konservativer Seite die meiste Kritik erfahren. Hier soll nicht die Diskussion um „Amoris laetitia“ oder „Fiducia supplicans“ wieder aufgegriffen werden, auch nicht sein sicher manchmal eher pragmatischer Umgang mit Fragen der Religionspluralität oder der Teilnahme an den Sakramenten. Umso mehr muss man anerkennen, dass er bis zuletzt eben doch bei keinem der großen, heiß umstrittenen Themen der katholischen Kirche die Tradition von Glauben und Disziplin verlassen hat. Er hat nicht den Zölibat aufgegeben, nicht Frauen zum Diakonat zugelassen, auch nicht – zumindest nach exakter Lektüre von „Amoris laetitia“ – wiederverheiratete Geschiedene einfach zur Kommunion zugelassen. Selbst noch die theologisch nicht immer stringenten Äußerungen zum Segen von Paaren in irregulären Situationen haben die betreffende Lehre nicht geändert. Und das alles trotz massiver Erwartungen reformistischer Kreise und der medialen Öffentlichkeit. Diese Haltung hat Franziskus sicher nicht weniger gekostet als etwa Johannes Paul II. sein Bekenntnis zur klassischen Moraltheologie. Dadurch hat Papst Franziskus sein Renommee als „Reformer“ eingebüßt, mit dem ihn entsprechende Kreise vom ersten Tag an instrumentalisierten. „Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit begehren“, so verlangt es der hl. Ignatius in seinem „Prinzip und Fundament“. Sein Jünger auf dem Stuhl Petri hat diese Maxime beherzigt, und dafür verdient er höchsten Respekt. Dies gilt noch einmal mehr, wenn man seinen durchaus herzhaften, um nicht zu sagen autoritätsbewussten Charakter bedenkt. Dennoch sah er in seinem Amt die Aufgabe der Einheit, und darum wollte er nur Schritte tun, die von einer großen Mehrheit mitgetragen werden. Darum auch seine Einladung zum offenen Gespräch. An dessen Ende sollte aber nicht der Druck einfacher Mehrheiten stehen, sondern die gemeinsame Unterscheidung des Willens Gottes. Vielleicht hat er damit die Kirche sogar überfordert, die eben doch leider viel eher in Kategorien politscher Parteienbildung und Mehrheitsbeschaffung denkt, zumindest nördlich der Alpen. Was die Presse als Zaudern interpretierte, verdient darum umgekehrt unsere größte Hochachtung.

Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit begehren (Ignatius, Prinzip und Fundament)

Papst Franziskus beim ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Wahl, 13. März 2013

Zeichen und Gesten

Echt nachkonziliar waren sicher auch Papst Franziskus‘ Zeichen und Gesten, angefangen vom Domizil in S. Martha anstelle des Apostolische Palastes, die betonte Alltäglichkeit des Auftretens („Buon pomeriggio“), die heilige Pforte im Gefängnis, der schlichte Ford als Dienstwagen und, und, und… Da war sicher nicht alles gut Gemeinte auch gut gemacht, denken wir etwa an die Pachamama bei der Amazonas-Synode. Die Tradition hätte da manche Vorbilder dafür bereitgestellt, wie Päpste persönlich streng und asketisch lebten, aber die dem Amt gebührenden Ehren gestatteten. Die Unterscheidung von Amt und Person und die Ehre gegenüber legitimen Ordnungen gehören zum Grundbestand konservativen Denkens. Freilich, in unserer Zeit ist etwas nur wirklich, wenn es in den Medien ist, und die lechzen nach einfachen, plakativen Bildern wie dem Papst, der Strafgefangenen die Füße wäscht. Daran ändert sich auch nichts, wenn man darüber fein die Nase rümpft. Lateinamerikaner haben ohnehin wenig Probleme damit, etwas zu inszenieren und im besten Sinn des Wortes Schau zu machen. Doch was stand bei Papst Franziskus dahinter? Er war mit ganzem Herzen Seelsorger, Leutepriester, einer, der den verlorenen Schafen auf allen Wegen dieser Welt nachgeht. Jeder, der das selbst versucht, weiß, dass man dabei auch Fehler macht, sich gelegentlich im Ton vergreift und sicher nicht überall als Diplomat auftritt. Mit der gut jesuitischen Haltung des „iuvare animas (den Seelen helfen)“ fordert Franziskus die ganze Kirche, besonders aber die Priester, heraus: Christus ist für alle gestorben, und damit darf ich nichts unversucht lassen, jeden zu erreichen, anzusprechen und ihm die barmherzige Liebe Jesu zu verkörpern. Da kann sich sicher jeder eine Scheibe abzuschneiden.  Ehrlich gesagt, es ist schon manchmal erschreckend, wie wenig Seeleneifer es in der Kirche gibt. Da machen auch die Freunde der Tradition nicht immer eine Ausnahme.

iuvare animas (den Seelen helfen)

Strukturen

Kirchenrecht und Kurie, Verwaltung und gewachsenen Strukturen, dem galt gewiss nicht die Liebe des verstorbenen Pontifex. Er umgab sich lieber mit Freunden, deren Loyalität er sich unbedingt sicher war; er ernannte Kardinäle mit Überraschungseffekt und ließ angestammte Bischofssitze leer ausgehen; seine Reiseziele waren zumeist unorthodox; er verschaffte den Kurienmitarbeitern 12 Jahre Bußzeit und ließ auf allen Ebenen manche Unprofessionalität ins Kraut schießen. Der Ehrlichkeit halber muss man sagen, dass auch seine Vorgänger allesamt kein ungebrochenes Verhältnis zu den Strukturen der Kirche hatten. Das mag eine nicht beabsichtigte Nebenfolge des II. Vaticanums sein, das die Kirche in den Seelen erwachen lassen wollte (Romano Guardini), aber Apparat, Struktur und Recht wenig Aufmerksamkeit widmete. Doch das ist bei einer Institution von 2000 Jahren und heute 1,4 Milliarden Mitgliedern verhängnisvoll, und spätestens der Umgang mit dem Missbrauchsskandal hat die schweren Versäumnisse auf diesem Gebiet offengelegt. Es wäre unfair, diese Mängel Papst Franziskus anzukreiden, nur weil er bei seinen Weihnachtsansprachen an die Kurie weniger geschmeidig redete.

die Liturgie des Tridentinums und die Moral des III. Vaticanums?

Priester

Schließlich die Priester. Es wäre ebenfalls unfair zu sagen, der Papst habe sie nicht geliebt. Aber irgendwie ist es ihm nicht immer gelungen, ihre Wellenlänge zu treffen, zumindest in unseren Breiten. Wer heute Priester ist, schwimmt gegen den Strom, darf sich tausend Nettigkeiten über seinen Zölibat anhören, hat kaum noch wirklich Autorität, muss mit einer rasanten Verweltlichung kämpfen und kennt die Versuchung zur Verzweiflung („Der Letzte macht das Licht aus!“). Priester sind mehr denn je diejenigen am Rande, und die Zuwendung vieler jüngerer Priester zur Tradition ist ja auch daraus zu verstehen, dass sie vielfach eine Kirche erleben, in der sie als Priester bestenfalls zu lästigen, widrigenfalls zu überflüssigen Figuren werden. Freilich, man muss es zugestehen, das ist in Teilen Lateinamerikas oder anderen Regionen der Weltkirche noch anders. Klerikalismus – auch das ist wahr – kann es auch bei leeren Kirchen geben. Vor allem aber ist der Skandal des Missbrauchs Anlass zur ernsthaften Gewissenserforschung des priesterlichen Standes: Wie konnte es dazu kommen? Papst Benedikts denkwürdige Überlegungen zu den Ursachen der Krise u.a. dadurch, dass klare Maßstäbe von Gut und Böse verlorengegangen sind, wurden nur als Schelte der 68er-Generation verstanden. Aber sie betrifft natürlich alle, gerade auch die Freunde der Tradition. Da muss man ehrlich eingestehen, dass sich auch bei ihnen gelegentlich eine Haltung ausgebildet hat: „die Liturgie des Tridentinums und die Moral des III. Vaticanums“. Und wenn man nicht auf den sexuellen Missbrauch fixiert bleiben will, so findet sich auch in konservativen Kreisen oft eine ausgesprochen ichbezogene, manchmal regelrecht aufgeblasene Selbstverliebtheit und Selbstgerechtigkeit. Jeder, der nur ein wenig in die Frömmigkeit früherer Zeiten eintaucht, kennt dagegen die Devise: Zuerst muss ich mich selbst bekehren, muss der alte Adam sterben, dann erst kann ich mich Missständen um mich herum zuwenden.

zuerst sich selbst bekehren…

Kein Nachruf

Das alles ist wirklich kein Nachruf auf Papst Franziskus. Dieser müsste vor allem den unermüdlichen Einsatz des Heiligen Vaters würdigen, die tiefe Frömmigkeit, die Bereitschaft, sich nicht zu schonen, seine Gabe, einfach und ansprechend zu predigen, auch seinen Humor und seine Menschlichkeit und vieles andere. Hier ging es nur um einen ehrlich-nüchternen Blick aus konservativer Sicht. Papst Franziskus hat oft zu einer offenen, angstfreien Rede ermutigt. In diesem Sinn mögen diese Zeilen ihm die letzte Ehre erweisen. R.i.p.

Quelle: Casa Rosada (Argentina Presidency of the Nation)

 

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