Was ist jetzt mit den Verstorbenen?
Was ist jetzt mit den Verstorbenen? Wo sind sie? Ist zwischen ihnen und uns nur ein tiefer Graben, oder verbindet uns ein unzerreißbares Band? Können wir etwas für sie tun – und sie für uns? Gerade an Weihnachten spüren Angehörige besonders den Verlust. Freunde wollen sie trösten und sagen: „Sie sind jetzt ein guter Engel.“ Bei Kindern tröstet man sich mit dem Bild von den Sternenkindern. Das ist gut gemeint, aber solche Worte können den Schmerz nicht beseitigen. Sie sind mehr Wunsch als Wirklichkeit. Der christliche Glaube baut dagegen nicht nur auf lieb gemeinte Worte und Bilder. Er gründet sich auf das, was wirklich geschehen ist. Er baut auf Jesus Christus, „gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten“. So bezeugt es das Apostolische Glaubensbekenntnis. Die Apostel, die Frauen und viele weitere Jünger haben es gesehen. Christus ist selbst in das Reich des Todes hinabgestiegen, ist an Ostern siegreich daraus hervorgegangen und hat so den Tod besiegt. Das ist keine fromme Phantasie, sondern Wirklichkeit. Damit können wir Sterben und Tod mit neuen Augen ansehen: als Tor zum Leben. Was bedeutet das für unsere Verstorbenen und unsere Verbindung mit ihnen? Nennen wir drei Punkte:
1. Im Tod trennt sich die Seele vom Leib.
2. Die Seele tritt nun in die innere Reinigung ein.
3. Sie kann uns aber weiterhin beistehen, so wie auch wir ihr.
Der erste Punkt stammt aus dem Erbe vieler Religionen und Kulturen, mit dem zweiten und mit dem dritten Punkt treten wir ganz in den Raum christlicher Hoffnung ein.
1. IM TOD TRENNT SICH DIE SEELE VOM LEIB
„Wandern in finsterer Schlucht“ (Ps 23,4)
Jesus ist am Kreuz gestorben. Er war nicht nur scheintot. Drei Tage lang weilte er im Reich des Todes und erwartete sehnsüchtig die Auferstehung. Das ist das Vorbild für jeden Menschen, der aus dieser Welt scheidet. Bei uns ziehen sich diese drei Tage allerdings hin bis zum Jüngsten Tag. Dann wird Christus wiederkommen in Herrlichkeit, dann wird allen Toten ihr Leib zurückgegeben werden. Sie werden jedoch nicht ins irdische Leben zurückkehren. Es gibt kein Zurück, nur ein Vorwärts: mit Leib und Seele ins ewige Leben einzugehen – vorausgesetzt, sie haben auf Erden als Freund Gottes gelebt.
Damit ist für beides Raum, für Trauer und für Trost. Trauer: Das Todesschicksal bleibt niemandem erspart. Wohl dem, der sein Sterben annehmen kann! Jene Stunde, die allein Gott kennt. Für die Hinterbliebenen bedeutet sie Schmerz, Abschied, Trauer. Ein Nahestehender hat uns verlassen, er ist aus dem irdischen Leben ausgewandert in das Reich des Todes. Die Mythologie hat darum vom Fährmann Charon gesprochen, der einen Verstorbenen aus dieser Welt weg an das andere Ufer bringt, unseren Sinnen entschwunden. So können wir ihn nicht mehr sehen, seine Nähe spüren, etwas mit ihm gemeinsam erleben, miteinander sprechen, lachen und weinen. Die leibliche Nähe ist nun nicht mehr gegeben. Darum ist es wichtig, den Leib der Erde anzuvertrauen, das Grab in Ehren zu halten und ihm an seiner letzten irdischen Ruhestätte nahe zu kommen. Doch diese Grabstätte führt uns auch vor Augen: Da ruht nur seine sterbliche Hülle, er selbst ist davongegangen. Die Kirche hat dies mit der Vorstellung von der Seele ausgedrückt. Die Seele, das ist das Geistige im Menschen, sein innerer Kern, sein Ich, sein Denken und Fühlen, das Leib und Sinne formt und ihnen ein unverwechselbar persönliches Gepräge gibt. Im Tod hat sich diese Seele hat vom Leib getrennt. Ein entseelter Leichnam ruft genau das spontan in uns wach: Das Entscheidende, die Person, zu der wir Du sagen, es ist nicht mehr da.
Doch auch Trost: Der Leib ist gestorben, aber die Seele kann nicht sterben. Denn wozu Gott einmal Ja gesagt hat, dazu wird er nicht mehr Nein sagen. Gott ist treu. Der Tod ist darum nicht das große Aus. Vielmehr trennt sich im Augenblick des Sterbens die Seele vom Leib. Es ist nicht alles aus. Das tröstet, und dieser Trost ist ein Menschheitserbe in vielen Religionen und Kulturen. Auch Nichtchristen sind vielleicht dafür zugänglich. Doch das ist noch ein eher schwacher Trost. Doch diese Trennung befreit nicht das eigentliche Ich, so als wäre sein Leib nur ein schäbiges Gewand, wie es manche Philosophien glauben machen. Die Trennung vom Leib ist ein bleibender Schmerz für die Seele. Ihr fehlt das, was ihr am kostbarsten ist, am wesentlichsten, am unverzichtbarsten. Die vom Leib getrennte Seele ist nur ein Rumpf-Ich, eine „abgeschiedene Seele (anima separata)“. Wenn sie nun zur großen Pilgerschaft aufbricht, dann ist dies darum ein „Wandern in finsterer Schlucht“ (Ps 23,4). Das Alte Testament hat diese dunkle Seite eindrucksvoll in Worte gebracht: Tod ist Finsternis (Hi 10,21–22), Staub (Hi 17,16; Ps 22,30), Schweigen (Ps 94,17) und Vergessen (Psalm 88,13). Das wird man auch als Christ nicht schönreden. Trauer soll man nicht beschwichtigen und den Tod verharmlosen. Denn wer über die Schwelle des Todes getreten ist, der ist noch lange nicht am Ziel. Die Seele hat ihren Leib verloren, sie kann ihre Sinne nicht mehr gebrauchen, das Herz pocht nicht mehr. Deswegen sehnt sie sich mit allen Fasern danach, wieder mit ihrem Leib vereinigt zu werden. Er ist für sie alles andere als ein lästiges Anhängsel. Das Ich, der Kern der Persönlichkeit, das hängt untrennbar mit Leib und Sinnen zusammen. Geschlecht, Aussehen, Charakter, Unverwechselbarkeit, wir haben sie nur durch den Leib. Deshalb ist es zwar schön, wenn man einen Verstorbenen als Engel bezeichnet. Es ist eine poetische Phantasie, aber im entscheidenden Punkt führt sie doch in die Irre. Denn der Leib gehört zu uns. Nur zusammen mit ihm sind wir ganz wir selbst.
Die Seele sehnt sich nach ihrem Leib. Aber sie sehnt sich nicht der Rückkehr auf die Erde, also danach, mit ihm all das Erlebte und Erlittene, die Reise durch dieses Leben noch ein zweites Mal anzutreten, und dann vielleicht ein drittes, ein viertes und schließlich unzählige Male. Das wäre nur ein Teufelskreis von Sterben und Leben. Deshalb ist die Vorstellung von der Reinkarnation alles andere als tröstlich, und aus diesem Grund ist im Buddhismus erst die Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburt die wahre Erlösung. Nein, nicht alles wieder von vorn, sondern etwas Neues soll sein. Die Seele sehnt sich nach dem Paradies. Dort gibt es kein Leid, keine Krankheit, keine Trauer mehr. Aber ist das keine leere Hoffnung? Ganz und gar nicht! Hier tritt der christliche Glaube in sein volles Recht. Mit dem Gute-Hirte-Psalm bekennt er: „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde“ (Ps 23,5). Am Ende der Tage, bei der Wiederkunft Christi, erwartet uns das größte aller Wunder: Der letzte Feind, der Tod (1 Kor 15,26), wird besiegt. Wie der Leib Jesu am Ostermorgen ein neues, ein verklärtes, ein paradiesisches Leben erhielt, so der Leib jedes Auserwählten am Ende der Tage. Das wird im Himmel sein und nicht mehr auf der Erde. Im Himmel, also endlich ganz bei Gott, überstrahlt vom Licht und der Seligkeit seines Angesichts: „Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang, und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit“ (Ps 23,6).
Christliche Überzeugungen:
- Trennung von Leib und Seele im Tod
- Unmittelbar nach dem Sterben Begegnung mit Christus zu Gericht und zu Rettung
- Reinigung der Seele (“Fegfeuer”)
- Auferstehung des Leibes am Jüngsten Tag
- ewige Seligkeit
- Fürsprache der Verstorbenen für die Lebenden
- Gebet, Opfer und Eucharistie für die Verstorbenen
2. DIE SEELE TRITT NUN IN DIE INNERE REINIGUNG EIN
„Selig, die ein reines Herzen haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8).
Trennung von Leib und Seele, finstere Schlucht, Entschwinden, Übersetzen ans andere Ufer, Sehnsucht nach der Vollendung, Trauer und Trost – ganz unterschiedliche Erfahrungen verbinden sich also mit dem Tod. Solche Vorstellungen verbinden mit dem Menschheitserbe der großen Religionen, sie finden auch auf dem Grund jedes Herzens eine Resonanz. Da weigert sich alles zu sagen: Tot ist tot. Solche Vorstellungen geben auch dem Christentum etwas tief Menschliches, gerade angesichts der letzten und tiefsten Menschheitsfrage, der nach dem Schicksal der Verstorbenen. Doch schon mit der Auferweckung des Leibes am Ende der Tage geht das Christentum weit über die weit verbreiteten Anschauungen hinaus. Das gilt erst recht für das Weitere, die Reinigung (2.) und den gegenseitigen Beistand (3.). Damit treten wir tief in die Geheimnisse des Christentums ein. Denn den Schritt jenseits von Staub, Finsternis, Schweigen und Vergessen wie im Alten Testament können wir nur wagen, wenn der Blick fest auf Christus gerichtet ist: „am dritten Tage auferstanden von den Toten“. Das Reich des Todes bereitet für die Auferweckung des Leibes am Jüngsten Tag vor. Wer als Freund Gottes gelebt hat, sinkt im Augenblick des Todes Christus selbst in die Arme. Nun ist er ganz sein. Der Herr flüstert ihm zu: „Ich bin dein Hirte, nichts wird dir fehlen“ (vgl. Ps 23,1). Nicht der Fährmann Charon nimmt ihn auf die Reise mit, sondern der Herr. Christus lebt und schenkt Leben.
Ganz in Jesu Händen – mit Freude und Vertrauen wird sich die Seele ihm nun überlassen. Es ist, als spräche sie nach dem Hinscheiden die schönen Worte der Hingabe von Charles de Foucauld:
„Ich überlasse mich Dir,
mach mit mir, was Dir gefällt.
Was Du auch mit mir tun magst, ich danke Dir.
Zu allem bin ich bereit, alles nehme ich an.“
Was aber macht Jesus nun mit ihm? Er reinigt ihn. Reinigung haben nämlich die meisten Menschen nach Vollendung ihrer irdischen Tage dringend nötig. In Lebensläufen, Predigten und Nachrufen mag man bloß Lobeshymnen auf sie singen, aber gerade Nahestehende wissen auch um die andere Seite: Charakterfehler, Gewohnheitssünden, die großen Ausfälle des Lebens, das „Hättest du damals nur…“, das, sie anderen schuldig geblieben sind, ganz zu schweigen von Kleinglauben, mangelnder Hoffnung und lauer Liebe zu Gott. „Das Beste kommt noch!“, so hat ein Benediktiner einmal begründet, warum er keine Angst vor dem Sterben hat. Wie wahr! Doch das Beste, das ist nicht einfach der Eintritt ins Schlaraffenland. Das Jenseits ist nicht ein Diesseits ohne Ärger und Verdruss, Krankheit und Enttäuschung. Es ist nicht so, wie man sich früher getröstet hat, wenn jemand nach Amerika ausgewandert ist: „Dort hat er es halt besser.“ Nein, das Beste, das ist, dass Jesus uns nun selbst in die Hand nimmt. Alles Unvollendete, Störende, Dunkle, Böse brennt er aus uns aus. Traditionell hat man diese Zeit der Reinigung („purgatorium“) deshalb als Feuer verstanden, als „Fegfeuer“, also als ausfegendes, alle Schlacke, allen Staub und Dreck ausbrennendes Feuer. Das ist eine treffende Vorstellung. Denn Feuer ist Symbol der Liebe. Die Liebe Christi wird uns wie ein Feuer umschließen. Wie jede echte Liebe wird ihre Berührung auch wehtun, und zwar gerade an den Punkten, wo wir schmerzlich spüren werden: „Ach, wie wenig von dieser Liebe, dieser Reinheit, dieser Heiligkeit ist noch in mir!“ Man darf jedoch keinesfalls dieses Feuer der Liebe und der Reinigung mit dem strafenden Höllenfeuer verwechseln.
Dadurch erhält die Trennung der Seele vom Leib auf einmal einen positiven Sinn. Die Seele kann sich dadurch ungestört Christus ergeben. Sie kennt nichts anderes mehr, als von ihm gereinigt zu werden. Denn die Seele ist nun durch nichts mehr abgelenkt, so wie im irdischen Leben. Damals haben die Sinne uns jeden Augenblick in die Welt hineingeworfen. Da haben sich Verstand und Willen darauf gestürzt, sich in dieser Welt zu bewähren. Wie wenig Zeit, Aufmerksamkeit und Hingabe blieben da für das Wirken der Gnade! Darum haben wir vielleicht über Jahrzehnte kaum Fortschritte im Guten gemacht. Jetzt ist das ganz anders: Ein Verstorbener kann nichts mehr tun, und er kann auch seine Sinne auf nichts Äußeres mehr richten.
Die Seele behält nur Gedächtnis, Verstand und Willen. Im Gedächtnis kommt nun alles aus der Lebenszeit hoch, auch Verdrängtes, Peinliches und Böses. Doch es tritt in das sanfte Licht der Liebe Christi. Dadurch verliert es alles Dunkle, Böse, Bittere. Es verwandelt sich, wird allmählich selbst Licht. So heißt es in einer tiefgründigen Stelle aus dem Epheserbrief: „Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet. Alles Erleuchtete aber ist Licht“ (Eph 5,13f.). Für diese Reinigung ist es auch ganz wichtig, dass ein Verstorbener nichts mehr selbst zu tun vermag. Das Fegfeuer reinigt gerade darum so effektiv, weil allein der Herr alles in der Hand hat, sozusagen wie ein Handwerker, den man nicht ständig durch Besserwissereien von der Arbeit abhält. Das ist auch der Grund, warum diese Zeit der Reinigung, so hoffen wir, deutlich kürzer ist als eine gewöhnliche Lebenszeit. Erstaunlich rasch wird alles getan sein. Was für ein Wunder: Da wird ein Mensch immer besser, lauterer, gütiger, liebender. Endlich ist er so, wie ihn Gott gewollt hat, ganz ohne Schmutz und Schatten. Das ist auch für die Hinterbliebenen tröstlich. Wodurch er auf Erden anderen das Leben schwer gemacht hat, wo er Wunden geschlagen und andere enttäuscht hat, da ist er jetzt ein neuer Mensch. Alles ist gut – endlich! Nun hindert schließlich auch nichts mehr, dass die Zeit der Reinigung endet. Die Seele darf vor Gottes Angesicht hintreten. Dort darf sie selig sein ohne Grenze und ohne Ende. Denn nun hat sie ein reines Herz: „Selig, die ein reines Herzen haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Wie kann man sich das vorstellen? Das ist unmöglich, denn es ist unfassbar: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9).
3. DIE VERSTORBENEN KÖNNEN UNS WEITERHIN BEISTEHEN, SO WIE AUCH WIR IHNEN
“… dass er auf uns schaut und uns segnet”
Wenn ein Verstorbener gereinigt wird, verbindet er sich immer mehr mit dem Herrn. Dessen Liebe strömt immer reichlicher in seine Seele. Je mehr er nun mit Gott vereint wird, umso mehr auch mit seiner Wundermacht. Das gehört zu den tröstlichen Gewissheiten des Glaubens: Die Toten stehen uns bei. Wir können zu ihnen sprechen, wir können ihnen nahe sein, wir können ihnen alle unsere Anliegen vortragen, von Alltagssorgen wie schlaflosen Nächten bis hin zu den großen Lebensthemen wie die Rettung einer Ehe. An dieser Stelle entlockt unser ernstes Thema beinahe ein Lächeln: Die Verstorbenen können zwar nichts mehr für sich selbst tun, aber sie können etwas für uns tun, und das auch noch wirksamer als zu Lebzeiten! Das reicht bis zu regelrechten Wundern. Das nimmt die Kirche wörtlich. Wenn jemand heiliggesprochen werden soll, verlangt sie ein handfestes, beglaubigtes Wunder, etwa eine Wunderheilung. Daran erkennt sie, dass er wirklich ein Freund Gottes ist und dass er sich jetzt im Himmel befindet.
Auch an dieser Stelle merken wir, aus welchem Grund die „abgeschiedene“, von ihrem Leib getrennte Seele sich viel aufmerksamer denen zuwenden kann, denen sie auf Erden verbunden war. Ihr stehen ihre Sinne nicht mehr zur Verfügung. Sie kann darum auch nicht ständig neue Eindrücke aufnehmen. Es ist also nicht so, wie wenn jemand eine weite Reise macht und kaum mehr an die Daheimgebliebenen denkt: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Im Gegenteil, das Gedächtnis der Erdentage stellt der Seele nun die Nahestehenden ständig vor Augen. Sie waren ihr von Gott anvertraut. Jetzt endlich kann sie sich ihnen ungestört und mit wachsender Liebe zuwenden. Ihr Verstand ist nun von Gott erleuchtet, und deshalb weiß sie viel besser, was wirklich für uns gut ist. Zudem hat ihr Wille mit Gottes Wundermacht ganz andere Werkzeuge in der Hand, um uns auch wirklich etwas Gutes zu tun. All das gilt nicht erst, wenn die Zeit der Reinigung zu Ende ist, sondern vom ersten Augenblick an. Denn sie sind ja sicher in Gottes Gnade und können nicht mehr aus seiner Hand entrissen werden. Es ist gerade so, wie es Joseph Ratzinger als Kardinaldekan bei dem Requiem für Papst Johannes Paul II. ausgedrückt hat. Er erinnerte daran, wie der bereits todkranke Papst ein letztes Mal zu Ostern 2005 vom Fenster aus den Segen „Urbi et Orbi“ gegeben hat. Dann fuhr er fort: „Wir können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster im Haus des Vaters steht, auf uns schaut und uns segnet. Ja, segne uns, Heiliger Vater !“
Liebe ist Geben und Nehmen. Wenn die Verstorbenen so wunderbar für uns dasein können, vermögen wir ihnen dann nicht auch unsererseits etwas Gutes zu tun? Also wirklich ihnen und nicht nur uns, indem wir unsere eigene Trauer zu bewältigen suchen. Gewiss, denn „die Liebe ist stärker als der Tod“ (Hld 8,6). Sie kann deshalb auch nicht vor der Schwelle des Todes umkehren. Unser Schmerz entsteht eher da, wo wir den Tod irgendwie ungeschehen machen und den Toten wieder zurückhaben wollen. Dann verhalten wir uns wie Orpheus, der seine Eurydike aus dem Totenreich zurückholen will. Er schaut sich um – und verliert sie für immer. Nein, als Christen versuchen wir, diesen ihren Weg durch Reinigung zur Seligkeit zu unterstützen. Wir wollen ja einst selber einmal diesen Weg gehen und nicht umkehren. Dabei glauben wir: Die Liebe Christi ist stärker als der Tod. Darum dringt alles, was wir in Christus tun, über die Todesschwelle und kommt unseren Verstorbenen zugute. Jedes Gebet nützt ihnen, jedes Opfer, jede gute Tat, jedes geduldig ertragene Leiden, natürlich besonders auch unsere Fürsorge für ein würdiges Begräbnis und eine ehrenvolle letzte Ruhestätte. Und noch einmal ein Lächeln bei dieser ernsten Materie: Nicht nur die Verstorbenen haben Gottes Wundermacht zur Verfügung, sondern auch wir für sie. Das ist die Feier der hl. Messe. Die „Messintention“ – die Zuwendung der Gnadenmacht der Eucharistie an einen Verstorbenen – ist nicht nur eine gute Tat von Menschen, sondern da strömt Christi Erlösung vom Kreuz aus direkt zum Verstorbenen. Es ist, als würde der Feuerherd seines am Kreuz durchbohrten Herzens im gleichen Augenblick der Seele im Jenseits einen gewaltigen Schub an Reinigung verschaffen.
Mit alldem sind wir in tiefe Geheimnisse des Christentums eingetreten. Man soll sie nicht zerreden und im Einzelnen zu ergründen suchen, sondern einfach nur tun. Wer sich darauf einlässt, wer dementsprechend glaubt, hofft und liebt, dem wird still und wunderbar das Auge geöffnet für die andere Welt. Der Tod hat seinen Schrecken verloren. Er spornt vielmehr an, schon hier und heute sein Leben in Christus zu ordnen und in der Liebe zu wachsen.
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