Zwei reich gefüllte Studienjahre am „Augustinianum“
Es war ein paar Tage nach der Wahl von Robert Prevost zum Papst am 8. Mai 2025. Mit einem Mal kam mir: Wahrscheinlich bin ich ihm bereits begegnet – vor 40 Jahren. Der junge Augustiner und zukünftige Papst war damals zu einem Doktoratsstudium im Kirchenrecht am Angelicum freigestellt, das er 1987 abschloss. Ich selbst war frisch zum Priester geweiht und absolvierte 1984 bis 1986 ein Lizenziatsstudium in Patrologie an der aufstrebenden Hochschule der Augustiner in Rom, dem Augustinianum. Es ist mit dem Studienhaus des Ordens verbunden, gepflegt und idyllisch gelegen gleich links neben dem Petersplatz. Dort hat der junge Augustiner aus Chicago zweitweise gewohnt. Daneben befindet sich übrigens auch die Ordensleitung dieses Ordens, die Robert Prevost später bei seinem zweiten Romaufenthalt innehatte. Dort erhebt sich auch die eher bescheidene Cappella Santa Monica, seine spätere Titelkirche – direkt gegenüber der Glaubenskongregation. Ich denke, ich muss ihm dort ein paarmal über den Weg gelaufen sein, in der Bibliothek, beim Verlassen oder Heimkehren des Studienhauses oder beim Gespräch mit Mitbrüdern. P. Angelo di Berardino, damals Präsident des Augustinianums und ein Genie darin, dass man sich gleich an der Hochschule wohlfühlte, hat nach der Wahl von Leo XIV. wunderbare Zeugnisse seiner Freundschaft mit Robert, wie er ihn auch weiterhin nennen darf, gegeben. Kurz, ich stelle mir vor, wie wir nebeneinander den Zettelkatalog der Bibliothek konsultiert haben (so war das damals noch!) oder im Lesesaal einen Stapel Bücher vor uns aufgebaut haben (meinerseits provozierte das oft einen neugierigen Blick darauf, was der andere denn gerade lese). Und dann – ein freundliches, wohlwollendes Nicken, unbekannt, aber mitbrüderlich. Ja, mitbrüderlich, so lässt sich das einzigartige Fluidum in meiner römischen Studienzeit beschreiben. Auch wenn man mit den unzähligen Seminaristen, Priestern, Ordensleuten, Schwestern und Laien aus aller Herren Länder vielleicht nie ein Wort gewechselt hat, so war doch immer eine Verbundenheit da, ein Miteinander, ein Wissen um die gemeinsame Berufung und der Wille, irgendwo in der weiten Welt den eigenen Beitrag zur Sendung der Kirche zu leisten. Die große Ausst

Aller Bilder: Augustinianum
rahlung, die Heiterkeit, die zugewandte Freundlichkeit, die Papst Leo heute ausstrahlt, sie fielen sicher auch schon damals auf und lockten das hervor, was man eine Verbundenheit des Lächelns nennen könnte.
Studium am Augustinianum 1984 bis 1986
Diese kleine Erinnerungsphantasie bildet einen guten Eingangsbereich zu dem, was diese zwei Jahre am Institutum Patristicum Augustinianum für mich bedeuteten. Denn es war nicht einfach eine gute, aufstrebende, wissenschaftsorientierte Hochschule, die Qualität vor Quantität setzte und sich zum Ziel gesetzt hatte, zukünftige Forscher und Lehrer der Alten Kirche hervorzubringen und ein Zentrum patristischer Studien in der Weltkirche zu bilden. Das allein war schon nicht wenig: Das wissenschaftliche Niveau war ein wichtiger Beweggrund dafür, dass ich mich dort für das Lizenziat einschrieb – immerhin eine Premiere für einen Germaniker, der üblicherweise an der Jesuitenhochschule der Gregoriana sein ganzes Studium absolvierte. Aber patristische Forschung gibt es überall auf der Welt, und dank der anspruchsvollen methodischen und sprachlichen Anforderungen gehört sie zu den Flaggschiffen der Theologie und zunehmend auch der Altertumswissenschaften. Dennoch, das Augustinianum bot noch ein Plus. Was war dieses Einzigartige an ihr? Die Nähe zur Tradition. Was das ist, sagt auch wieder am besten eine Erinnerung. Besonders gerne war ich in einem kleineren Vorlesungsraum, und dort wählte ich wenn möglich einen Platz am Fenster. Der Blick nach draußen war dort imposant vom Cupulone, der Kuppel des Petersdomes, ausgefüllt. Besonders imposant war das, wenn die Abendsonne ihn aus der hereinbrechenden Dämmerung heraushob und am Himmel schweben ließ. Wenn man hier Cyprians Ringen um die Einheit der Kirche und die Rolle des Petrus dabei studierte, wenn man die Weihnachtspredigten von Leo dem Großen las, der sich über die Gläubigen beschwerte, die sich auf dem Petersplatz zur Sonne hin verneigten, um sie aus heidnischen Reflexen zu verehren, dann waren das keine bloß historischen Dokumente mehr. Das Alte und das Neue, das Damals und das Heute waren Teil eines großen Ganzen. Historie nahm teil an der heiligen Tradition, sie war Zeugnis der Glaubensgeschichte des Volkes Gottes, Ausdruck der Einführung in die Wahrheit in der Kraft des Heiligen Geistes – auch wenn sich dies nicht selten auch als dramatischer Kampf um den Geist in der Kirche darstellte. So waren Wissenschaft und Glauben, Sezieren von Texten, Kennenlernen von Kontexten und Wiedererkennen derselben Gläubigkeit keine getrennten Welten, erst recht keine Gegensätze. Auch hier wieder also jene Verbundenheit des Lächelns mit den Schwestern und Brüdern im Glauben aus anderen Zeiten, Kulturen und Glaubensformen, auch hier wieder jenes Sich-Erkennen im Anderen, das Gefühl für die Kirche als weites, aus dem tiefen Brunnen der Vergangenheit schöpfendes Gefäß des Heiligen Geistes.
Die Welt der Väter tut sich auf
Dieses unsichtbare, aber umso festere Band war keine ideologische Voreingenommenheit, kein Mangel an historisch-philologischer Kritik, keine bloße Apologetik. In den Prachtexemplaren der Gelehrsamkeit der Hochschule, etwa dem Dizionario patristico oder der Fortsetzung der Patrologie von Quasten, ging diese gläubige Grundhaltung nicht mit wissenschaftlichen Scheuklappen einher. Im Gegenteil, in großer Offenheit lud man Gelehrte ersten Ranges ein, etwa Professoren der ersten Reihe wie Manlio Simonetti, Maria Grazia Mara und Paolo Siniscalco von der staatlichen Universität La Sapienza oder einer anderen italienischen Hochschule oder den Nachfolger von Jean Daniélou am Institut Catholique de Paris und Athanasiuskenner, Charles Kannengiesser. Die Augustiner brachten aus ihren eigenen Reihen Kapazitäten ein, so neben Angelo di Berardino als langjährigem spiritus rector u.a. Vittorino Grossi, Nello Cipriani und der Altmeister des Augustinus, Agostino Trapè. Natürlich darf in dieser Namensreihe auch mein Lizenz-„Vater“ Basil Studer OSB nicht fehlen, gleich in mehrfacher Hinsicht einer der Felsblöcke der Hochschule. Sie alle und weitere etwa 30 Dozenten verbürgten ein hohes Niveau und machten die zwei Jahre des Lizenziatsstudiums zu einer Entdeckungsreise. Ich hatte ja gerade das grundständige Studium in Philosophie (2 Jahre) und Theologie (3 Jahre) an der Jesuitenhochschule Gregoriana absolviert. Gegen Ende hatte ich jedoch den Eindruck, die Dinge nur flüchtig und aus zweiter Hand zu berühren: hier ein Gedanke des Augustinus zur Erbsünde, dort Rahners Axiom des anonymen Christen. Dabei hatte ich zwar eine breite philosophisch-theologische Bildung erhalten – bis heute ein klares Plus des römischen Theologiestudiums. Jetzt aber verlangte ich nach Selbstdenken und eigenem Urteil anhand der Quellen. Anhand der Quellen, das gab bei mir auch den Ausschlag, kein Lizenziat in Dogmatik an der Gregoriana zu wählen, sondern eben das patristische Lizenziat am Augustinianum. Im Nachhinein war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
Die zwei Studienjahre in der Nachbarschaft des Petersplatzes boten eine wirklich breite, solide Einführung in die Kirchenväter (hier übrigens trotz aller Berührungspunkte auch klar geschieden von der Alten Kirchengeschichte). Das begann mit den alten Sprachen (denkwürdig mein zweisemestriger Syrisch-Kurs zusammen mit drei Kommilitonen, u.a. einem Mönch vom Montserrat, der sich in der Edition syrischer Handschriften spezialisieren wollte, und wo ich als einziger nur ein bisschen in diese Sprache hineinschnuppern wollte) und mit der Methodologie (bis hin zu Paläographie und Textedition), ging über große Überblicksvorlesungen zu den ersten Jahrhunderten, thematische Vorlesungen z.B. zu Methoden der Schriftauslegung oder zur Anthropologie, Lektüre von Schlüsselwerken und Einführungen in den soziokulturellen Kontext und endete natürlich bei Augustinus. Die große Abschlussprüfung anhand einer Liste von repräsentativen, breiten Themen (z.B. Trinitätstheologie und die arianische Krise im 4. Jahrhundert) und die wissenschaftlich anspruchsvolle Lizenziatsarbeit boten dann die Gelegenheit, in die Tiefe zu bohren. Im Vergleich dazu halte ich die deutsche Regelung, sich gleich nach dem Abschluss von Magister bzw. Diplom einem oft sehr spezialisierten Einzelthema in der Dissertation zuzuwenden, für einen großen Nachteil.
Noch kein Fachmann, aber auch kein blutiger Laie
Zum ersten Mal hatte ich am Ende des Lizenziates den Eindruck, in einem theologischen Fach zwar noch nicht eigentlich mitreden zu können, aber doch auch kein blutiger Laie mehr zu sein. Gleichzeitig wuchs der Respekt vor dem immensen Textcorpus, dem Themenspektrum und der hochspezialisierten Forschung nur umso mehr, je mehr ich in das Fach eindrang. Bis heute kann ich deshalb nur lachen, wenn Leute sich vollmundig über den augustinischen Pessimismus auslassen, ohne etwa „De correptione et gratia“ im Original gelesen zu haben, oder wenn sie über seine Vorstellung vom Bösen als einem Mangel am Guten als einer verharmlosenen “Bonisierung” des Bösen schwadronieren – ausgerechnet bei diesem Kirchenlehrer, der wie kein zweiter in die Abgründe der Sünde eingedrungen ist. Stichwort „Lesen“. Basil Studer gab mit später, als meine theologischen Wege sich in eine ganz andere Richtung bewegten, den goldenen Rat, einfach immer wieder Originaltexte der Kirchenväter zu lesen. In der Tat, dadurch bleibt man am besten am Ball. Mehr noch, da stimmt auch die Perspektive. Gegen das Übergewicht der Sekundärliteratur, der „Diskurse“ und „Paradigmen“ in den Geisteswissenschaften, fand ich den Primat der Quellen immer heilsam. Nicht dass Theorien nichts zu sagen hätten. Aber sie sind theoria im ursprünglichen Wortsinn, also Sichtweisen oder noch besser: Sehhilfen, die übersehene Seiten im Text ans Licht heben. Niemals dürfen sie aber die unmittelbare, frische, überraschende Begegnung mit dem Text selbst ersetzen. Das gilt übrigens nicht weniger in meinem heutigen Fach, der Pastoraltheologie. Es ist mittlerweile oft überfrachtet mit theoretischen Diskursen, die den Blick auf die Wirklichkeit eher verengen oder in eine bestimmte Richtung lenken wollen, anstatt präzise analytisch und differenziert Befunde auszuwerten.
Glaube und Vernunft, das ist und bleibt die große geistige Herausforderung. Die zwei Jahre am Augustinianum haben gezeigt: Beides geht zusammen, und ihre Ehe ist mit vielen quicklebendigen Kindern gesegnet.
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