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Ein Tag in der Eifel

September 1989. Der Umzug von der Kaplanstelle im mittelstädtischen Neunkirchen (Saar) in ein 400-Seelen-Dorf in der Südeifel. Wenn ich morgens in der eigenen Wohnung aufwachte, war ich allein. Zum ersten Mal im Leben, nach Familie, Seminar und Pfarrhaus. Oder eben alles andere als allein. In der morgendlichen Stille wurden die Gespräche des gestrigen Tages wieder hörbar, tauchten lange nicht mehr gesehene Gesichter wieder auf, fingen Gedanken Dispute an, als spazierten sie durch die Straßen des alten Athen. Und manchmal mischte sich selbst ein Wort von oben hinein, eine leise Anrührung, ein flüchtiges Ich-bin-da.

Dann war der Kaffee zu kochen, die Morgenzeitung zwischen Marmelade und Honig durchzublättern, die üblichen Verrichtungen, und wenn dann die Zähne geputzt waren, lockte der Schreibtisch. Wirklich! Darauf der brandneue Computer mit einer mehr als ausreichenden 20 MB-Festplatte, bedienbar mit so beherrschbaren Befehlen wie copy c:\*.* a: Ein Stapel von mind. 20 Bibliotheksbüchern drum herum, kurz vor dem Umfallen, so hoch, dass man nicht mehr aus dem Fenster sehen konnte. Oh, eine gut geführte wissenschaftliche Bibliothek wie die des Trierer Priesterseminars, welche Gnade! Gnade aller Gnaden aber war es, endlich einmal Zeit zu haben zu lesen, zu studieren, Fragen nachzugehen, Kniffliges zu entkniffeln und irgendwann in aller Bescheidenheit wahrnehmen zu dürfen, an einem winzigen Punkt die Frontlinie der Wissenschaft erreicht zu haben und nun sogar einen kleinen Ausbruch wagen zu dürfen.
Die Mittagsglocken läuteten eine Front ganz anderer Art ein. Bewaffnet mit “Dr. Oetkers Grundkochbuch” und manchem guten bäuerlichen Rat de letztne Tage, versuchte ich mich in der petite cuisine und schlug mich trotz gelegentlich heftigem Pulverdampf und kleineren Explosionen wacker und ohne nennenswerte Gewichtsverluste. Danach das Treffen mit der Siesta, von dem nichts weiter zu berichten ist, als dass es in der Regel erfolgreich abging.

Nachmittags trieb es mich hinaus. Nach hundert Schritten war die Dorfgrenze erreicht, und gut asphaltierte Feldwege führten vorbei an glücklichen Kühen, Streuobstwiesen und Weizen-, Gerste- oder Haferfeldern, durch sanfte Hügelformationen, hinein in ausgedehnte Wälder, vielleicht

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/ca/Schafbachtal%2C_Eifel%2C_Germany_-_panoramio.jpg/1024px-Schafbachtal%2C_Eifel%2C_Germany_-_panoramio.jpg

Eifelidylle (Foto: Maarten Sepp bei http://www.panoramio.com/photo/63744723)

bis ins wildromantische Tal der tief unten munter dahinplätschernden Salm oder wenigstens bis zu einem der Aussiedlerhöfe, von Winden umsäuselt und nur von Zeit zu Zeit aus Träumen und Gedanken aufgeschreckt durch einen Bomber im Tiefflug vom nahen Nato-Flughafen Spangdahlem. (Besonders eindrücklich die überschweren Transportflugzeuge, die während des ersten Irakkrieges abends spät endlos lange die Motoren dunkel brummen ließen, bis sich irgendwann die dumpfe Monotonie erhob und bald darauf der gewaltige Schatten tief am Nachthimmel in Richtung Südosten verschwand.)
Studienzeit, Teil zwei, und dann zu festgesetzter Zeit sich loseisen für ein wenig Gebetszeit, bis die Glocken zur Abendmesse auf einem unserer sieben Dörfer riefen (von den sieben Hügeln Roms zu den sieben Dörfern in der Eifel!). Manchmal sprach ich in der Sakristei die ersten Worte am Tag. Ein richtiger “Semianachoret” – halb Eremit, halb Gemeinschaftsmönch – war ich, wie in einer alten Laura Palästinas, der zurückgezogen in seiner Klause sich … nein, nicht so sehr dem Gebet als Fußnoten, Abstürzen des PC’s und transzendentallogischen Problemen widmete, nur um dann zu bestimmter Stunde sich dem Gemeinschaftsleben zu widmen.

Semianachoret: von lat. semi/halb und griech. anachoresis/einsiedlerische Lebensweise

Bald hatten die gastfreundlichen Eifeler mir in jedem Dorf Türen aufgetan (und nicht minder ihre Speisekammern nebst ihrem unnachahmlichen Viez, dem Apfelwein), so dass, hätte ich auch den ganzen Tag über gefastet, der Abend allein die Kalorienbilanz ausreichend gestaltet hätte. Was habe ich bei Tisch da nicht alles erfahren: Familiendramen, Krankheitsgeschichten, rauhe Bräuche und seltsam klingende Dialektworte, alte Vorfälle und Urlaubspläne – und zwischen allem auch ein gerüttelt Maß an Stallgeruch mit viel Gläubigkeit, die selbst am Totenbett eines Kindchens mit tonloser Stimme zu sprechen vermag: “Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen. Gepriesen sei der Herr.” Mehr als genug Stoff, um anderntags in der Stille der Klausur wieder Stimmen zu hören.

 

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