Das Weihnachtsrätsel 2019 war ein Renner. Die Seite war stark besucht, ich erhielt viel Echo und es gab etwa 20 richtige Einsendungen, verbunden mit oft eindrucksvollen Schilderungen des persönlichen Eindrucks beim Hören des Werkes. „Eher leicht“ war das Rätsel nun vielleicht doch nicht, aber die Rätselfreunde zeigten sich einmal wieder von ihrer besten Seite! Welches Werk war es denn nun endlich? Nun, gesucht war die

„Messe de Minuit“,

die Messkomposition zur Christmette von

Marc-Antoine Charpentier.

Sie ist entstand um 1694 für die Pariser Jesuitenkirche Saint-Louis, wo er 1688 bis 1698 als maître de chapelle (Kapellmeister) wirkte.

Vermutliches Portrait Charpentiers (um 1700; Quelle: wikicommons)

Ein wiederentdekter Barockkomponist ersten Ranges

Der Pariser Marc-Antoine Charpentier (1643-24.2.1704) war lange weithin vergessen, doch im Lauf des 20. Jahrhunderts wurde die außergewöhnliche kompositorische Kraft seiner immerhin 550 überlieferten Werke neu entdeckt. Auf das Glücklichste verbindet er mit französisch-höfischen Stil mit den italienischen Barocktraditionen seines Lehrers G. Carissimi (während seinem jahrelangen Aufenthalt in der Ewigen Stadt Rom lernte er 1666/67 bis 1670 bei ihm; wieder zurück, fand er sich im Kreis von Abbé Mathieu ein). In seinen 12 Messkompositionen greift er den italienischen Typ der konzertierenden Messe auf, bei der die Instrumente selbstständig geführt sind und gerne wie im Zwiegespräch mit den Vokalisten erscheinen. Alternatim wechseln sich gesungene Teile mit Orgelversetten ab. In der „Messe de Minuit“ kommt gut französisch vor allem die Einfalt und Freude von Betlehem zum Ausdruck. Man meint, die Hirten an der Krippe tanzen zu sehen, und immer wieder möchte man mitsingen – nicht ganz zufällig, denn Charpentier hat die Melodien von zehn traditionellen französischen Weihnachtsliedern mit Ursprüngen bis ins 12. Jahrhundert eingearbeitet – allerdings so kunstvoll, dass es nie zu einem plumpen „Und jetzt können alle mitsingen!“ kommt. Diese alten, einfachen, fröhlichen Lieder waren im Volk sehr populär; Etienne Pasquier berichtet 1571, in seiner Jugend hätten sich die Familien noch jeden Abend zum Singen zusammengefunden, doch später habe der Brauch nur an Weihnachten überlebt, wenn Kinder und Erwachsene die „Noëls“ in den Straßen und in der Kirche bei der Opferung sangen.  Dabei bleibt er in der „Messe de Minuit“ auch instrumental mit zwei Flöten, Streichern und Orgel eher einfach (und lassen sich ggf. sogar vokal besetzen) – ein dankbarer Umstand für heutige Kirchenmusiker.

Ob Charpentiers Sinn für espritvolle Fröhlichkeit durch sein langjähriges Wirken bei größten aller Komödiendichter, Molière, und seiner „Troupe du Roy“ (später „Comédie Française“) seit 1672 gestärkt wurde? Molière hatte sich mit Jean_Baptiste Lully, dem großen Musikstar der Epoche und des Hofes von Versailles, zerstritten und wählte deshalb Charpentier zu seinem Komponisten. Wie auch immer, in seiner „Messe de Minuit“ lebt eine Weihnachtsfrömmigkeit, die Seiten anschlägt, die unserer oft ein bisschen arg verinnerlichten Weihnachtsmusik eher abgehen. Aber vielleicht sollten wir da auch nicht vergessen, dass er die Messe für die Jesuiten komponierte, also jenen Orden, der wie kein zweiter den Sinn für effektvolle Inszenierung des Glaubens beherrschte, gerade auch für einfache Menschen. Für sie komponierte er u.a. auch die beliebten geistlichen Tragödien, etwa zu den Unschuldigen Kindern, zum Jüngsten Gericht, zu Esther und Judith oder zur Verleugnung des Petrus.

Kirche Saint-Paul-Saint- Louis (Paris, Quelle: wikicommons)

Spurensuche

Zurück zum Rätsel. Was ist die Auflösung der „Clous“?

  • Der Vorname Marc-Antoine ist namensgleich dem großen Gefährten des Julius Caesar, Titelheld eines Dramas Shakespeares („Antonius und Kleopatra“), vor allem aber bekannt durch seine Rede an das römische Volk im „Julius Cäsar“ Shakespeares (3. Aufzug, 2. Auftritt), nach dessen demagogischem Meisterstück die Mörders Caesars ihre Koffer packen können.
  • Der Nachname Charpentier mit den ersten drei Buchstaben C-H-A ergibt in der Tat eine einfache absteigende Melodie.
  • Der musikalische Konkurrent und Star seiner Epoche wurde bereits genannt, Jean-Baptiste Lully (1632-1687).
  • Auch von der Jesuitenkirche St. Louis- St. Paul war bereits die Rede. Die Bewerbung für die renommierte Sainte-Chapelle hatte Charpentier verpasst. Allerdings soll er dort begraben sein, doch nur ein launisches Epitaph erinnert an ihn.
  • Tja, und dann war da ja auch noch der triumphale Erfolg zum Mitpfeifen. Es handelt sich um die ersten Takte seines „Te Deum“ (also zum Lob Gottes!), das seit den 50er Jahren als Eurovisionsmelodie europäischen Fernsehzuschauern denkwürdige Übertragungen ankündigte.
  • Was für Theologen unmöglich erschienen wäre, die Musik machte es möglich. Charpentier arbeitete auch für das Kloster Part-Royal, das eng mit dem strengen, anspruchsvollen und eher pessimistischen Jansenismus zusammenhing. Der damit sympathisierende christliche Philosoph mit der berühmten Wette ist Blaise Pascal. Dieser war mit seinen „Lettres provincales“ so etwas wie ein Jesuitenhammer.
  • Und schließlich ganz ohne Horror: Charpentiers Werke werden seit 1982 in Hitchcock’s catalogue aufgeführt und nummeriert.

Aber genug der Worte und viel Weihachtsfreude beim Anhören! Die Preise werden in den nächsten Tagen ausgelost. Danke fürs Mitraten!

Ein Gedanke zu „Weihnachtsrätsel 2019 – die Auflösung

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