Es herrscht Inflation – nicht nur bei den Konsumgütern. Was nährt, kostet manchmal doppelt so viel wie früher. Nun tut ein ordentlicher Christ nichts lieber als mit der Zeit zu gehen. So habe ich mich beim Sommerrätsel 2023 ganz inflationsgerecht bemüht, den doppelten Preis zu verlangen. Und heureka – meine Lösung war vielleicht nicht genial, aber einfach. Gesucht ist dieses Mal nämlich nicht ein einziges literarisches Werk, sondern gleich zwei! Allerdings von demselben Autor. Äpfel mit Birnen wollen wir also nicht vergleichen. Und wie bei einer guten Inflation wird dann auch noch gleich ein Ladenhüter unter die Auslage gemischt. Im Klartext: Unser Autor war vor einigen Jahren schon einmal gesucht. Aber das ist doch eigentlich schon ein großer Rabatt für alle Rätselfreunde, nicht wahr? Mit diesem heißen Tipp wären wir am Ende doch wieder bei Preis und Leistung quitt, oder?

Genug damit und zur Sache. Gesucht sind zwei Prosawerke desselben Schriftstellers oder, wie man in diesem Fall ganz zutreffend auch sagen könnte, Dichters. Thematisch sind sie eng verwandt, auch wenn sie chronologisch 13 Jahre auseinanderliegen (und was für Jahre, auch für den Dichter!). In beiden Werken geht um alte, längst vergessene (oder genauer gesagt: verdrängte und dadurch nur umso mehr allgegenwärtige) Schuld, einmal an einem jungen Mann, einmal an einer Frau. In beiden Erzählungen taucht diese Schuld anlässlich eines runden Geburtstags bzw. eines Jubiläums auf (für Zahlenfreunde: Geburtstag und Jubiläum haben auch schon wieder mit unserer Verdoppelung zu tun). In beiden tritt sie als eine besondere Gnade Gottes auf, wie dezent, aber prominent ganz am Ende jeweils also gewissermaßen die „Theologie von der Geschicht‘“ zur Sprache kommt: Gott hat einen Stellvertreter seiner Gerechtigkeit geschickt und hat eine einzigartige Gelegenheit zur Umkehr gewährt, die nicht mehr wiederkehren wird. Dabei ist Gnade Gerechtigkeit und ersetzt sie nicht – da können Christen mit einem schlecht verstandenen Paulus einiges lernen. Unser Dichter ist für die Suche nach der Gerechtigkeit mit seiner religiösen Ausrichtung genau die richtige Adresse. Diese Religionszugehörigkeit teilt er auch mit den beiden Opfern der Schuld, und das ist das untergründige Hauptthema der beiden Erzählungen: der Hass und die Verachtung gegenüber seinesgleichen. Dass dieses Thema für den Dichter in seiner Zeit von höchster Bedeutung war, bedarf keiner Erklärung, wenn man die Abfassungsdaten kennt. Überhaupt spielt Theologie in beiden Erzählungen eine unübersehbare Rolle, etwa wenn in der ersten Erzählung die Verabredung zu einem Verbrechen in einer Kirche stattfindet, wenn das Opfer mit dem Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, verglichen wird, und es auch selbst ebenso leidenschaftlich wie eigenwillig Theologie treibt. In der anderen Erzählung beginnt der Aufstieg des „Helden“ mit dem Selbstmord eines Kameraden, von dem er den Frack erbt, der ihm den Weg in die höhere Gesellschaft bahnt.

Auch in Kleinigkeiten erweisen die beiden sich als nahe Verwandte: Das Wetter ist stickig und drückend, die Täter sind keine Unmenschen, sondern Mitläufer oder, wie man beim zweiten sagen könnte, Mittänzer, die es verstehen, ihren Wiegeschritt an den großen Rhythmus der Welt geschickt anzupassen – bis eben die Schuld ihr Recht einfordert. Das Gericht ist jedes Mal das leitende Bild: als Verhör in der Rahmenhandlung und als gerichtliche Befragung und Überführung in der zentralen Rückblende.

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Macht’s schon klick? Ein bisschen Nachhilfe ist erlaubt und passt auch gut zur ersten Erzählung, die im Milieu einer Jungenschule spielt. Da trägt das Opfer einen Namen, der auch der Titel eines Buches von Sören Kierkegaard ist. Ebenso wie der eines bekannten Psychoanalytikers. Zufall oder schon wieder Hinweis auf das Aufdecken der verdrängten Wahrheit? Nicht ganz zufällig ist der „Held“ hier wie gesagt ein Vernehmungsrichter, der also die versteckte Wahrheit an den Tag bringen soll und der dann als seine Aufgabe erkennt, sich selbst mit seiner alten Schuld zu verhören. Auslöser eines Vernichtungswerkes durch den „Helden“ ist da ein peinlicher Zwischenfall in der Turnstunde. Körperlichkeit, Sinnlichkeit, Wille zum „Leben“ jenseits von Gut und Böse, auch das damit verbundene Misstrauen und der Neid gegenüber geistiger Überlegenheit, damit dürfte der Dichter auch mit einem Vulgär-Nietzsche abrechnen, der damals auf fatale Weise im Schwange war. Pointe am Ende: Der Anlass zur Wiedererinnerung an die alte Schuld erweist sich am Ende als Irrtum. Kein Wunder, denn in Wirklichkeit drängt die Schuld von innen, im Gewissen, das nach Nietzsche ja bekanntlich nur ein lästiges Dressurinstrument ist.

Als Irrtum erweist sich ebenso in der zweiten Erzählung der Anlass. Hier ist es eine Vaterschaft, deren sich der „Held“ bewusst wird und die alles ändert. Sein Leben in Saus und Braus an der Seite einer verwöhnten, hauptsächlich mit ihrem Aussehen beschäftigten Frau – Kinder haben die beiden keine, wen überrascht’s? – wird mit einem Mal nichtig. Aber der wirkliche Sprung in ein neues Leben, die echte Bekehrung, sie bleibt aus. Ebenso sind seine ersten Zuckungen gegen den Zeitgeist am Ende nicht mehr als Anwandlungen, die der großen Bosheit der Zeit nichts entgegenzusetzen imstande sind. Wo der Mensch sein Inneres nicht in Ordnung gebracht hat, wird er nach außen hin immer auch williger Helfer sein. Schließlich noch ein leichtfüßigerer Tipp: Dieser zweite „Held“ trägt ironischerweise den Namen eines echten Helden des alten Sparta in einer seiner berühmtesten, viel besungenen Schlachten. Genussmenschen haben dagegen bei diesem Namen gleich den Geschmack kostbarer Pralinen auf der Zunge.

Der langen Rede kurzer Sinn: Wie heißen die beiden Erzählungen von verdrängter Schuld und wie ihr Autor? Bleibt nur, eine gute Lektüre zu wünschen. Doch dieser Wunsch erübrigt sich eigentlich, denn beide Texte sind überaus spannend, zupackend dramatisiert und mit äußerst treffender Sprache. Tiefste Themen ganz ohne Gähnen und nach hinten Blättern („Wie viele Seiten sind es denn noch?“), das kann unser Dichter einfach.  

Wer die richtige Antwort gefunden hat, möge sie einsenden an: andreas.wollbold@lmu.de. Bitte, möglichst auch gleich die Adresse angeben! Sie wird nur verwendet, wenn jemand den Preis gewonnen hat. Welchen? Zum 150. Geburtstag der der hl. Therese von Lisieux winkt ihr Briefwechsel mit zwei Missionaren: „Mein lieber kleiner Bruder“. Einsendeschluss ist der 15. Oktober 2023 um 24 Uhr, just zum Ende der hiesigen Semesterferien. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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