Foto: Kath.-theol. Fakultät der LMU München

Norbert Elias hat einmal den Unterschied zwischen den Intellektuellen und Gelehrten in Frankreich und in Deutschland herausgearbeitet:

  • In Frankreich seien diese schon früh eng in das Leben des Hofes und der Regierung einbezogen worden. Geist und Macht führten eine lebhafte Geschwisterbeziehung und waren keine feindlichen Brüder.
  • In Deutschland dagegen waren die Männer des Geistes lange von der Macht ausgeschlossen, und so entstand der deutsche Gelehrte: übergescheit, hochkompetent – und überkritisch gegen diejenigen, die in einer gefallenen, von der Sünde versehrten Welt das schwere Geschäft der Verantwortung für Gesellschaft und Kirche haben. Noch ein Max Weber warnte in „Wissenschaft als Beruf“ die Professoren davor, zu Politikern zu werden. Recht hatte er, aber zugleich zementierte er damit die wissenschaftliche Sonderexistenz, die leicht zu einem Winkelwissenschaftlertum führen konnte. Das gibt es selbstverständlich auch in der Theologie rechts des Rheins – oder muss da das Wort „rechts“ eigenartig deplatziert wirken…?

Winfried Aymans, Professor und Apostolischer Protonotar, stammte vom Rhein. Das gab ihm nicht nur seinen unverwechselbaren Akzent und natürlich seinen rheinischen Humor. Mit seiner Herkunft hatte das Beste der beiden Welten aus französischer und deutscher Kultur in sich:

  • Aus französischer Kultur das Selbstbewusstsein eines engagierten Intellektuellen, der seine Geisteskraft wie selbstverständlich auch in die Entscheidungsebene der Kirche trägt und dadurch Kirchengeschichte mitgestaltet. In der so entscheidenden Phase zwischen II. Vaticanum und Neuausgabe des CIC 1983 ließ er sich einbinden in Neugestaltungsprozesse der Weltkirche und der Deutschen Bischofskonferenz. Sie führten zu einem zeitgemäßen und zugleich traditionsbewussten und glaubensstarken Kirchenrecht. In viele Gutachten und Stellungnahmen sowie in die Mitarbeit in Gremien hat er sehr viel Zeit und Energie investiert – für einen Professor doch immer eine scheinbar vergeudete Zeit! Mir persönlich ist das Werden des CIC von 1983 mit seinen großen Aufgaben und seiner minutiösen Detailarbeit in großer internationaler Zusammenarbeit von Kirchenführern und Wissenschaftlern bis heute ein Glücksfall und Vorbild für ein gelungenes Miteinander von Kirche und Wissenschaft.
  • Aus der deutschen Kultur brachte Winfried Aymans den Sinn fürs „quiete vivere“ mit, das notwendige Sitzfleisch ungestörter Forschung, wenn am Ende wirklich Substanz und nicht Luftblasen herauskommen sollen. Darum verdanken wir ihm ein Standard-Standardwerk des Kirchenrechts in Fortsetzung der Mörsdorf-Tradition sowie profunde Monographien und Aufsätze und keine Schnellschüsse und Luftnummern.

Keiner von uns lebt sich selber und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende (Röm 14,7-9). „Wir gehören dem Herrn“: Für uns als Christen ist Engagement, Lebenswerk, Hingabe an die eigene Aufgabe aber mehr als eine Soziologie des Intellektuellen. Wir glauben und bekennen: Unser Leben gehört vom ersten Augenblick an dem Herrn, und darum besteht die große Lebensaufgabe darin herauszufinden, wie, in welcher Form, mit welcher Berufung und mit welchem ganz persönlichen Gepräge wir ihm dienen können. In diesem Sinn war Winfried Aymans eine große Persönlichkeit wie sein Namenspatron Winfried/Bonifatius – ein Mann nicht für halbe Sachen.

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Ja, die katholisch-theologische Fakultät der LMU München hat viele große und prägende Gestalten der Wissenschaft hervorgebracht, und wir dürfen stolz darauf sein. Winfried Aymans gehört zweifellos zu ihnen. Er war eine starke Persönlichkeit, mit festen Prinzipien, einem tiefen katholischen Glauben und einem ungebrochenen, wenngleich zunehmend kritischen Ja zur Kirche. „Die Hölle, das sind die anderen“, dieses Wort Sartres wird ja heute manchmal umgemünzt: „Die Kirche, das sind die anderen.“ Nein, Winfried Aymans war ganz „homo ecclesiasticus“. Kirche, die hatte er in der DNA! Doch Kirche, das war für ihn nicht in erster Linie Apparat, sondern das waren Namen und Gesichter, konkrete Menschen in der Familie, im Presbyterium und nicht zuletzt unter lebenslangen Freunden, um die er sich bis zuletzt bemüht hat.

Als Kanonist war er dezidiert Theologe: Das Recht durfte kein Eigenleben führen, sondern es konnte nur geronnene, institutionalisierte Theologie sein. Darin war er der würdige Nachfolger seines akademischen Lehrers Klaus Mörsdorf. Theologie, das heißt aber immer auch Forschung, Nachforschung, den Dingen auf den Grund gehen. Rechtspositivismus, also „So steht’s geschrieben, und darum: Friss Vogel oder stirb!“, das war ihm dagegen von Herzen zuwider.

Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? (Joh 11, 40). „Wenn du glaubst“ – in der Tat, ein solcher Glaube stellt eine ungeheure Herausforderung dar: Gottes Macht ist so groß, dass sie am Tod am meisten seine Herrlichkeit erweisen kann. Das war bei Lazarus so, und zutiefst ist es in der Auferstehung des Herrn so. Darum ist der christliche Glaube keine bloße „credulitas“, keine Ansammlung von mehr oder weniger plausiblen religiösen Anschauungen. Er ist auch kein Rädchen im Getriebe einer Kirche, die vor allem ihre Position im gesellschaftlichen Gefüge nicht verlieren will. Glaube ist das Tor zur Herrlichkeit – und er ist fürwahr eine enge Pforte für jeden, der sich nicht in Demut bücken will!

Winfried Aymans war als Theologe auch Priester. Geweiht zum Dienst am Volk Gottes. Da ließ er sich in Pflicht nehmen – etwa als Hausgeistlicher bei den Armen Schulschwestern in der Münchener Au. Sein Dienst als Priester bestand nun vor allem in der Hilfe und in den Waffen der Theologie und der Kanonistik. Das hieß für ihn zunehmend eine kritische Haltung gegenüber theologischer Phraseologie und kirchenrechtlicher Gummiparagraphenreiterei, kurz den Bücklingen vor den neuen Mächten in der Kirche, für die die sogenannte Pastoral alles so lange zurechtbiegt, bis es passt. Das II. Vatikanische Konzil war stets für ihn Maßstab und Bezugspunkt. Damit ging es ihm wie vielen ähnlich Gesinnten: Anfangs gehörte er zu den Reformern, später wurde er als Bremser verstanden. Anfangs Communio gegen die Kirche als Gerüst aus bloßen Paragraphen, später aber eine theologisch verbindliche Communio und Synodalität gegen manches, was fälschlich unter diesem Etikett verkauft wurde. Dabei war er stets derselbe, so in seiner tiefen Überzeugung, dass Weihe- und Jurisdiktionsgewalt in der una sacra potestas eng verschränkt sind. Dabei ging es ihm nicht um Rechthaberei, sondern um die Gewissheit: Nur insofern das Amt sich sakramental Christus verdankt, kann es auch echte Autorität geben – aber die gibt es dann auch wirklich und sie darf nicht relativiert werden.

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Natürlich machte er sich damit nicht nur beliebt, und seine entschiedenen Stellungnahmen haben vielleicht manche nicht mehr mittragen können, die ihn doch bewunderten. Doch ich bin mir gewiss: Alles, was er tat und sagte, war kein intellektueller Dünkel, kein Spleen, sondern es war durchgebetet. Er wirkte aus tiefer Verantwortung für das Volk Gottes, das er an einem Scheideweg sah. Wird es die Fülle, gewiss auch die Strenge des vollen Glaubens und seines Rechtes bewahren oder es nach und nach wie Hans im Glück für immer billigere Güter eintauschen?

Doch noch einmal: All das war für Winfried Aymans alles andere als Besserwisserei. Am 6. August 2023, dem Tag der Verklärung des Herrn, ist er in die Ewigkeit heimgegangen. An diesem Tag erfüllte sich das Wort aus dem Johannesevangelium, das wir eben gehört haben: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen. Ja, die Herrlichkeit des verklärten Herrn auf Tabor erwartete ihn nach den Mühen des Lebens – und nicht zuletzt seines allerletzten Lebensabschnittes. Nun, da er in die Ewigkeit eingegangen ist, scheint mir kaum ein Wort treffender als die ergreifenden Worte aus der Predigt des Kardinaldekans Joseph Ratzinger bei der hl. Messe „Pro eligendo papa“ [in Auslegung von Joh 15,16 („Ich habe euch dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“)]:

„Wir müssen Früchte hervorbringen, die bleiben. Alle Menschen wollen eine Spur hinterlassen, die bleibt. Aber was bleibt? Das Geld nicht. Auch die Gebäude bleiben nicht; ebensowenig die Bücher. Nach einer gewissen, mehr oder weniger langen Zeit verschwinden alle diese Dinge. Das einzige, was ewig bleibt, ist die menschliche Seele, der von Gott für die Ewigkeit erschaffene Mensch. Die Frucht, die bleibt, ist daher das, was wir in die menschlichen Seelen gesät haben – die Liebe, die Erkenntnis; die Geste, die das Herz zu berühren vermag; das Wort, das die Seele der Freude des Herrn öffnet.“


 

[1] Leben wir unser Amt als Geschenk Christi an die Menschen. Predigt von Kardinaldekan Joseph Ratzinger am 18. April (OR [dt.]) 22. April 2005, 3).

Der Nachruf geht auf meine Predigt beim Fakultätsrequiem zurück.

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