Non abbiate paura! – Habt keine Angst!

Der 13. Mai 1981 war für uns Germaniker ein gewöhnlicher Studientag. Um 7 Uhr hl. Messe, dann ohne ausgedehnte Gemütlichkeit ein Frühstück, und los ging’s in kleinen Gruppen zur Gregoriana zu vier Stunden Vorlesung Synoptiker und Gotteslehre, nachmittags von einem Seminar bis um sechs Uhr gefolgt. Um halb sieben war ich wieder zurück und fuhr gerade mit dem Aufzug in den siebten Stock, da stieg ein Schweizer Mitbruder zu. „Hast du gehört, auf den Papst wurde geschossen!“Die Nachricht schlug selbst ein wie ein Geschoss, und auch sein liebenswürdig-eidgenössischer Tonfall, der immer ein wenig an Sommerurlaube in der Kindheit erinnerte, konnte das Unfassliche daran nicht mildern. Mein Gott, was war da geschehen? Erst in den nächsten Stunden filterten sich Fakten von Gerüchten aus, und der Hergang des Attentates durch Mehmet Ali Agca wurde allgemein bekannt. Jahre dagegen brauchte es, bis Hintergründe und Hintermänner aufgedeckt wurden. Eine Zeitlang war die „pista bulgara“, die Verstrickung des bulgarischen Geheimdienstes und dahinter des sowjetischen KGB, Thema Nummer 1 in den italienischen Medien. Der Ostblock fürchtete den Mann in der weißen Soutane, weil er dem Volk seiner polnischen Heimat und bald schon weit darüber hinaus eines genommen hatte, was jeder Diktator zum Überleben braucht: die Angst. Das war ihnen sicher zwei Kugeln wert. Im Nachhinein muss man sagen: Damit hat der Sowjetkommunismus sich selbst die Kugel gegeben.

Am Sonntag darauf hätte Johannes Paul unser Kolleg besucht, ein halbes Jahr nach seiner ersten Deutschlandreise, so wie er das gerne hielt. Am Dienstagabend war unser Rektor bei ihm zum Abendessen eingeladen. Am Abend vor seinem Leiden… Was zählten nun die kleinen Aufgeregtheiten der vergangenen Wochen: Wer darf bei seinem Besuch ministrieren, wer darf welche Fragen stellen, welche Pasta würde es zur Vorspeise geben? Wenigstens unser Chor konnte ihm bald darauf ein Ständchen bringen – er war im „Policlinico Gemelli“ gerade erst außerhalb von Lebensgefahr. Zu Pfingsten wurde im Petersdom das Jubiläum des Konzils von Ephesus (431) gefeiert, und irgendein Kardinal zelebrierte an seiner Stelle. Doch am Ende des Gottesdienstes erschien der Heilige Vater hinten, auf der Innenseite der Benediktionsloggia, und richtet ein seiner so unverwechselbaren sonoren Stimme einige Worte voll Zuversicht an die Anwesenden. „Non abbiate paura. – Habt keine Angst!“, das sagte er nicht nur bei seinem Amtsantritt 1978, das war er.

Eine verängstigte Herde, ja, die hatte er bei seiner Wahl am 16. Oktober 1978 anvertraut bekommen. Nichts anderes schien noch gewiss, als dass der Glaube wenigstens in unseren Breiten zum langsamen Siechtum verurteilt war. Aus dem Dialog mit der Welt war vielfach Anpassung geworden. Eine beinahe neokoloniale Situation war es: Mit Feuerwasser und Feuerwaffen missionierte aber nun die Welt unter den Christen, also mit dem Rausch, endlich dazuzugehören, und mit der Angst vor dem Anders-Sein. Und dann kam dieser Papst aus Polen und kehrte die Richtung der Mission wieder um: „Non abbiate paura. – Habt keine Angst, Christus in euer Leben einzulassen!““ Neuevangelisierung und keine Verteidigung kirchlicher Besitzstände. In heiliger Unbekümmertheit gab er sich als der modernste Papst der Kirchengeschichte, zeigte sich auf Skiern in den Abruzzen und ließ in Castelgandolfo ein Schwimmbad errichten. Das Papamobil anstelle der „Sedia gestatoria“ wurde ihm zum Markenzeichen – darauf stehend trafen ihn ja dann auch die Kugeln des Attentäters. Verschüchterung war seine Sache nicht. Zum Wintersemester 1982/83 verfügte er kurzerhand, dass alle Seminaristen in Rom ab der „Admissio“ Priesterkleidung zu tragen hatten – besonders eindrucksvoll war das bei der zahlenmäßig größten Gruppe der Studenten, den US-Amerikanern, die weiterhin in Jeans, nun aber von einem Tag auf den anderen im „Tipp-Ex“ anstelle von T-Shirt erschienen.

Der junge Karol beim Kajakfahren

Mein Gott, was hat dieser Papst in seinen fast 27 Amtsjahren nicht alles angepackt, richtiggestellt, verbessert, angeregt, gelenkt, geordnet… und gebetet. Besonders berührend war die Teilnahme an der hl. Messe in seiner Privatkapelle. Wurde man in diesen kleinen Raum eingelassen, kniete er schon vorne, ins Gebet versunken. Nirgendwo war man seinem Geheimnis näher. Was ihn nicht hinderte, im Anschluss daran bei der Begegnung zu scherzen, etwa als er einen deutschen Seminaristen mit einem wohlgepflegten Bart an eben diesem zupfte: „Oh, eine schöne Bart!“ (Was zeigt, dass Päpste nicht in jeder Hinsicht unfehlbar sind und dass dies entschieden menschlicher ist.)

„Gezeigt, nicht gegeben“, hieß es von seinem Vorgänger, dem 30-Tage-Papst Johannes Paul I. Von ihm selbst kann man das sicher nicht behaupten. Denn gezeigt hat er sich (oder besser den, dessen Stellvertreter er war) in aller Herren Länder. Wohl aber bleibt die Frage: Gilt für ihn nicht das Wort: „Gegeben, aber nicht angenommen“?

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