Es gibt ein faszinierend-seltsames Buch über das Sterben des großen Philosophen Aristoteles, wahrscheinlich im irakischen Basra des 10. Jahrhunderts entstanden: „Das Buch vom Apfel oder der Tod des Aristoteles“. Auf dem Totenbett habe der Universalgelehrte – in einer späteren lateinischen Fassung – gesprochen:

„Nudus veni, anxius vixi,

dubius morior, quo vadam nescio.

O Ens entium, miserere mei. –

Nackt kam ich in die Welt, unter Ängsten verbrachte ich mein Leben,

in Zweifeln gehe ich in den Tod, und wohin ich gehe, ist mir unbekannt.

O Sein alles Seienden, erbarme dich meiner.“

Wohl dem, der in seiner letzten Stunde noch solche erhabenen Worte von sich geben kann, möchte man ausrufen. Doch sogleich werden wir ergriffen vom tiefen Ernst und der Skepsis des Mannes der Wissenschaft. Aristoteles, der im Leben wohl über 100 Bücher über alles und jedes verfasst hat, von der Planetenbewegung über die Empfindungsfähigkeit von Pflanzen bis hin zur sublimen Metaphysik – er, ausgerechnet er bekennt am Ende seines Lebens ganz sokratisch: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Ja mehr noch, die Rätsel des Lebens, die geradezu brutale Gewalt des Faktischen ist durch keine Wissenschaft, keine Gelehrsamkeit, keine Spekulation zu domestizieren. Am Ende ist dann doch alles wieder „tabula rasa“, „Ungewissheit und Wagnis“, wie es der große saarländische Philosoph Peter Wust so eindrucksvoll ins Wort gehoben hat. Mir scheint, gerade die augenblickliche Weltstunde gibt uns eine besondere Empfänglichkeit für ein solches Weltgefühl. Denn wir leben in einem Zeitalter der Ungewissheit – wirtschaftlich, politisch, kulturell und leider inzwischen auch militärisch.

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Doch der Aristoteles dieser Worte ist keineswegs resigniert. Im Gegenteil, er lobt noch einmal sein Gelehrtenleben, das „quiete vivere“ des Philosophen, eine Existenz, ganz in der Suche nach der Wahrheit zugebracht. Das gibt ihm auch den Seelenfrieden, mit dem er den Tod nicht fürchtet – auch darin ganz einer zweiter Sokrates, wie ihn Platon „Phaidon“ so eindrucksvoll geschildert hat.

Faszination Wissenschaft, Forschung als Lebenssinn und Lebensglück auf der einen Seite, Zweifel, Grenzen des Wissens und Skepsis auf der anderen Seite. Damit sind genau die beiden Pole dessen geschildert, was wir an der Universität versuchen: Wahrheit zu suchen, Vorurteile zu zerstören, Wissen zu sichern und bei allem einen tieferen, angemesseneren Blick auf die Welt zu wagen. Wer von uns, der einmal wirklich in den Bannkreis der Wissenschaft getreten ist, gleich ob in Theologie, Physik, Wirtschaftswissenschaften oder in welchem Fach auch immer, möchte den Segen einer solchen wahrhaft geistigen Existenz missen? Wer möchte ihn eintauschen gegen das Linsengericht von Erfolg, Karriere und Applaus – auch wenn die Versuchungen dazu überall mit Händen zu greifen sind? Doch wer von uns würde nicht auch ehrlich eingestehen: Letztes, unumstößliches Wissen – mein Gott, wo gibt es das denn? Forschung ist ja immer offen, ihr Prozess geht weiter, und Phasen der ruhigen Entwicklung wechseln sich ab mit dramatischen Revolutionen. Wie groß etwa war der Sprung von der traditionellen Vorstellung der „natürlichen Bewegung“ der Körper hin zur Entdeckung der Grundgesetze der Mechanik durch Newton? Und wie sehr musste sich 200 Jahre später die wissenschaftliche Community die Augen reiben, als Einstein die Relativität eben dieser Gesetze nachwies. Ich muss deshalb ehrlich gesagt immer etwas lächeln, wenn Leute sagen: Das und das ist Wissenschaft, und das müssen jetzt alle glauben. Denn meistens hat das mehr mit Politik als mit echter Wissenschaft zu tun, mehr mit Doktor Eisenbart als mit Albert Einstein und mehr der Gassenhauer „Die Wissenschaft hat festgestellt“ als das sokratische „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.

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Für Christen gilt diese Spannung zwischen Faszination und Grenzen der Wissenschaft nicht weniger. Gerade darum aber ist es guter Brauch, vor allem Nachdenken den Heiigen Geist um seinen Beistand und seine Erleuchtung anzurufen. Denn als gläubige Menschen glauben und vertrauen wir: Der menschliche Geist ist volatil, er setzt immer wieder an und stößt ebenso oft an Grenzen. „Unser Wissen und Verstand ist mit Finsternis umhüllet“ – heißt es darum im Kirchenlied. Doch im innersten Grund des Geistes eines Christen wohnt der Heilige Geist. Er hat die wunderbare Eigenschaft, den menschlichen Geist zu erleuchten, zu führen, zu stärken und ihm endlich eine Gewissheit zu geben, die nicht mehr rein diskursiv oder argumentativ erreichbar ist, sondern einfach Gabe ist, „Salbung“, wie es bei Johannes heißt. Unter den sogenannten sieben Gaben des Heiligen Geistes gibt es auch den der Wissenschaft. Darin wirkt er Wissen gerade inmitten aller Ungewissheit. Daran können wir uns festhalten, auch wenn alles andere wankt. Die Gabe der Wissenschaft, das ist also nicht einfach Wissensvorsprung sozusagen durch Spicken beim Heiligen Geist. Es lässt den Christen in seinen Wissenschaften nicht sagen: „Ätsch, ich weiß etwas, was ihr nicht wisst!“ Nein, es ist die ruhige Gewissheit, die der Heilige Geist in unser Herz legt: „Jedes Wort Jesu ist wahr, es ist selbst die Wahrheit. Auf sie kann ich mein Leben bauen, an ihr kann ich meine großen Entscheidungen ausrichten, sie gibt mir Kriterien an die Hand, mir auch in stürmischen Zeiten den Kopf nicht verdrehen zu lassen, sondern zu wissen, was gut und was böse ist.“ Wenn man es auf den Begriff bringen will: Der Heilige Geist schenkt die Weisheit, die alle Wissenschaft überragt – und die deshalb überhaupt erst den Mut gibt, als Wissenschaftler kleine Brötchen zu backen und das mühsame, langwierige Geschäft echten, strengen Forschens auf uns zu nehmen, anstatt forsch aufzutreten und den Mund in der Öffentlichkeit zu voll zu nehmen. – Oder wieder im Originalton des Kirchenliedes:

„… wo nicht Deines Geistes Hand

uns mit hellem Licht erfüllet

Gutes denken, tun und dichten

musst Du selbst in uns verrichten.“

Das bezeugt schon die große Geist-Vision des Joel: Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, / eure Alten werden Träume haben / und eure jungen Männer haben Visionen. Auch über Knechte und Mägde / werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen (Joel 3,1f.) „Auch über Knechte und Mägde“ – also auch und gerade diejenigen, die ein Aristoteles und ein Großteil der heidnischen Antike noch als Banausen verachtete, die ihre Hände gebrauchen sollen, weil ihr Verstand nicht zu viel tauge. Denn auch Knechte und Mägde sind Ebenbilder Gottes, und gerade in ihnen, den „Armen im Geiste“, wirkt der Heilige Geist Wunder. Ebenso und besonders für die Universität von Belang: Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein. Natürlich haben langjährige Dozierende einen Erfahrungs-, Kenntnis- und Wissensvorsprung gegenüber den jüngeren Semestern. Aber christlich gesehen haben gerade auch junge Menschen oft überraschende, geistgewirkte Einsichten. Dann gilt es nicht, ihnen über den Mund zu fahren, sondern ihre Worte zu wägen und zu bedenken.

Als sich die Tage des großes Aristotelesschülers Thomas von Aquin ihrem Ende zuneigten, da gab er das Schreiben auf. Doch dabei hatte die Skepsis nicht das letzte Wort. Vielmehr hatte er eine tiefe Erfahrung der Gegenwart Gottes während der Feier der hl. Messe am Nikolaustag des Jahres 1273 gemacht. Gott ist so überwältigend groß und herrlich, angesichts diese Gewissheit musste er bekennen: „Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich gesehen habe.” Ja, alle menschliche Wissenschaft stößt an Grenzen, und wo sie das vergisst, wird sie zur Ideologie. Aber der Heilige Geist schenkt eine Weisheit des Herzens, die aus anderen, tieferen Gründen lebt und die uns Halt gibt im Leben ebenso wie im Sterben.

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