Ganz leicht war die Lösung des Sommerrätsels wohl nicht. Der geheimnisvolle Orient hatte wohl gar manche dunklen Ecken und Winkel. Umso bemerkenswerter, dass es doch eine ganze Reihe von richtigen Einsendungen gab. Dabei lohnt der Autor und das gesuchte Werk wirklich die Lektüre. Worum also handelte es sich? Es ging um

Hieronymus, Das Leben des gefangenen Mönches Malchus (Vita Malchi monachi captivi).

Der Kirchenlehrer und Bibelgelehrte Hieronymus (347-420) hat diese kleine Vita in Betlehem verfasst, wohin er sich aus Rom zurückgezogen hatte. Sie steht in der Tradition des antiken Romans (und gelegentlich auch der Komödie!) und erzählt die Lebensgeschichte eines syrischen Mönches, den er Jahre zuvor kennengelernt hatte. Mit sicherem Blick für zugleich spannende und lehrreiche Stoffe verarbeitete er sie nun zu einer kleinen Perle von Erzählung. Zusammen mit den beiden großen Mönchsviten über Paulus von Theben und Hilarion von Gaza bildete sie den viel gelesenen Anfang der Gattung Heiligenleben in lateinischer Sprache, die später dann so populär wurde und die aus der christlichen Literatur gar nicht mehr wegzudenken ist.

Benvenuto Tisi da Garofalo, Meditation des hl. Hieronymus (1520/25)

Der Plot der Geschichte ist dicht. Der Syrer Malchus habe ihm selbst sein Leben erzählt, aber gewiss erlaubt der gebildete Lateiner sich bei der Wiedergabe auch manche künstlerische Freiheit. Jedenfalls lebte dieser Malchus im kleinen Dorf Maronias etwa dreißig Meilen von der Weltstadt Antiochia entfernt. Nach manchem Abenteuer hatte er sich als alter Mann dort niedergelassen und war dort oft in Begleitung einer ebenso frommen Frau in der Kirche zu sehen. Er stammte aus einer Bauernfamilie bei Nisibis viel weiter im Osten. Seine Eltern wollten ihn zur Ehe drängen, aber er erkannte die Berufung zum Mönch und floh von zuhause in eine Mönchskolonie in der Chalkis. Nach vielen Jahren aber wollte er einen Heimaturlaub antreten, um sein Erbe zu regeln, nachdem sein Vater gestorben war. Dabei beging er den folgenschweren Fehler, einen Teil des Erlöses beim Verkauf für sich selbst gewissermaßen als Alterssicherung zurückzubehalten – für das alte Mönchtum ein äußerst schweres Vergehen. Sein Oberer stößt daraufhin schwerste Warnungen gegen ihn aus, und die erweisen sich bald als nur zu wahr. Denn er gerät auf der Reise in einen Raubzug der Sarazenen, wird als Sklave verkauft und muss Schafe hüten. Weil er dies aber zur Zufriedenheit seines Herrn verrichtet, will dieser ihn belohnen – allerdings ausgerechnet dadurch, dass er ihm eine Mitsklavin zu Frau gibt, zudem auch noch eine, die bereits verheiratet war. Ein Nein gibt es nicht! In seiner Verzweiflung will Malchus sich das Leben nehmen, doch die Frau, selber eine Christin, bewegt ihn dazu, nur zum Schein eine Ehe zu führen, aber enthaltsam zu bleiben. Irgendwann entschließen die beiden sich zur Flucht, und trotz Verfolgung und tödlicher Bedrohung werden sie gerettet – wie, das wird hier nicht verraten, um die Spannung bei der Lektüre nicht zu zerstören – und lassen sich schließlich in besagtem Ort Maronias nieder.

El Greco, Hieronymus als Gelehrter (ca. 1610)

Nach diesen Erläuterungen ist es nun sicher nicht mehr schwer, auch die Hinweise im Rätsel aufzulösen:

  • Hieronymus stammte aus Stridon, einer dalmatinischen Provinzstadt auf dem Balkan. Seine Lebensstationen führten ihn aber kreuz und quer durch das römische Reich, u.a. nach Trier, Rom, Athen, Alexandria, Syrien und ins Heilige Land, wo er sich eben 386 zu einer Klostergründung in Betlehem niederließ.
  • Mit Betlehem ist auch der weihnachtliche Bezug unseres Autors so klar, dass er keiner weiteren Erklärung bedarf. Was allerdings nicht alle wissen dürften, ist, dass sich seine letzte Ruhestätte wieder in Rom befindet, genauer in der Basilika Santa Maria Maggiore, wo auch die Krippe Jesu unter dem Hauptaltar als Reliquie verehrt wird.
  • Inhaltlich geht es bei der „Vita Malchi“ um eines der Lieblingsthemen des Hieronymus, um Mönchtum und Askese, um Ehe und Jungfräulichkeit. Mit dem enthaltsamen Miteinander von Mann und Frau hat die Geschichte auch einen Hintergrund in einer damals erstaunlich weit verbreiteten Lebensweise, dem sogenannten Syneisaktenwesen, also dem Zusammenleben von Asketen verschiedenen Geschlechtes unter einem Dach.
  • Das Konzil von Trient hat die Überarbeitung der lateinischen Bibel durch Hieronymus, die „Vulgata“, als zuverlässige Quelle der biblischen Bücher gekennzeichnet und ihr damit einen wichtigen Platz in Theologie, Liturgie und Leben der Kirche gesichert.
  • In der Kunst wird Hieronymus gerne als hagerer Asket in der Wüste Chalkis dargestellt, gerne auch mit einem Löwen, der gewissermaßen sein Haustier geworden sei aus Dank dafür, dass er ihm einen Dorn aus der Pranke gezogen hatte.

Wen das alles verlockt, die Geschichte des Malchus in die Hand zu nehmen, sei ermutigt: Die Lektüre lohnt sich! Wer freilich damit noch ein wenig Geduld hat, der darf schon heute auf die hoffentlich in etwa zwei Jahren erscheinende Ausgabe der drei Mönchsviten des Hieronymus in der Reihe der „Fontes christiani“ verwiesen werden.

Ein Gedanke zu „Sommerrätsel 2022 – die Auflösung

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